So spannend ist Hören

Der Mensch ist ein Hörtier

Prof. Eckart Altenmüller erklärt, warum man mit den Ohren besonders gut lernt.

Prof. Dr. med. Eckart Altenmüller

Mein Lieblingsklang…

… ist der Klang der Querflöte. Es ist wunderschön, wie er lebt, wie er mit der Luft spielt. Je älter ich werde, um so wichtiger wird die Flöte für mich. Ihre Töne sind klar wie das Mondlicht." Prof. Dr. med. Eckart Altenmüller

Glasklare Töne: Den Klang der Querflöte hat Prof. Eckart Altenmüller vom Institut für Musikphysiologie und Musikmedizin am liebsten.

Die Praxis des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin liegt in Sichtweite der Musikhochschule am Schiffgraben. Eckart Altenmüller, der Institutsdirektor, ist Professor – für Neurologie. Und er hat auch eine ganz normale Approbation als Arzt. Und er hat Musik studiert und gibt Konzerte. Wenn man also wissen will, wie Gehör und Gehirn zusammenhängen, geht man am besten zu ihm.
"Hören ist immer gleichzeitig auch Lernen", sagt Eckart Altenmüller. Dann singt er vor: "Hänschen klein." Drei Töne in zwei Tonhöhen. Er singt weiter: "Ging allein." Dasselbe Muster, etwas tiefer. "Und schon", sagt Altenmüller, "speichert das Gehirn die Tonfolgen und erkennt Gesetzmäßigkeiten des Lieds und schließt auf künftige Melodien." Auf diese Weise, erläutert der Professor, gehe das Gehirn mit jeder Musikform um, ob es sich nun um den Sonatensatz oder um Death Metal handele.

"Der Gehörsinn ist der lernfähigste Sinn, den wir überhaupt haben", sagt Eckart Altenmüller, man müsse nur an die Sprache denken. Säuglinge hören sie noch im Bauch der Mutter. Es gibt Untersuchungen, dass Kleinkinder im deutschen und im französischen Sprachraum unterschiedlich schreien, angepasst an die jeweiligen Sprachmelodien – etwas weicher im Französischen, etwas härter im Deutschen. Das Gehör ist es dann auch, das die Stimmbildung anregt. Und im Laufe des Erwachsenwerdens, erläutert der Professor, erlebt fast jeder die gesamte Musikgeschichte im Schnelldurchlauf: Am Anfang stehen die einfachen Melodien der Kinderlieder, am Ende, an der Schwelle zum Erwachsensein, kompliziertere Harmonien wie in den Symphonien von Ligeti oder in den Stücken von Sting im Siebenachteltakt.

Dabei sind es nur rund 3000 innere Haarzellen pro Ohr, die die Klänge in jene Signale umwandeln, die das Gehirn dann liest – was es aber mit Milliarden von Nervenzellen tut. Und es benutzt offenbar mehr als früher dafür, denn Altenmüller berichtet von Forschungen, dass das menschliche Gehör heute ausdifferenzierter ist als vor 100 Jahren. Das bezieht sich nicht bloß auf diffizile Stücke wie im Jazz oder in der Neuen Musik. "Denken Sie an die Komplexität und Klangfärbung in der Popmusik", sagt Institutsdirektor Altenmüller. "Die Variationsbreite in den Stimmen, die Ausdrucksstärke der Emotionen ist größer als in der klassischen Musik." Der Professor nennt Joan Baez als Beispiel. Oder Kate Bush. Oder die unverwechselbare Art unzähliger Gitarristen, ihre Saiten anzuschlagen.

In jedem Fall sei der Mensch ein "Hörtier" und das Lebewesen, das das mit Abstand größte Repertoire an Tonfolgen im Gedächtnis ablegen könne. Riesige Hirnareale in den Schläfenlappen seien damit befasst, und sie würden laufend üben. Wie viele Melodien ein Mensch sich merken könne, habe noch niemand gezählt. Aber bei Profis seien es mit Sicherheit Hunderttausende. Übrigens höre der Menschen morgens am besten, sagt er Professor. Weswegen – Eckart Altenmüller lächelt verschmitzt – Konzerte abends stattfänden. "Da ist das Publikum toleranter. Und die Musiker hören sich selbst auch nicht so genau und glauben, sie wären besser, als sie sind."

Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin
der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
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