Erinnerungsort

Ballhofplatz

Der im Herzen der hannoverschen Altstadt gelegene Ballhofplatz ist ein Ort wechselvoller Geschichte, der insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus zahlreiche Veränderungen erfahren hat. Über die Geschichte des Ballhofplatzes informiert seit 2023 eine Informationstafel des ZeitZentrums Zivilcourage.

Ballhofplatz

Den ursprünglich für Ballspiele errichteten „Ballhof“ nutzte nach der Umgestaltung der Altstadt, bei der zahlreiche Fachwerkhäuser abgerissen wurden, ab 1939 die nationalsozialistische Hitler-Jugend für propagandistische Feiern und Versammlungen. Seit 1945 dient der Ballhof wieder als Spielstätte für das hannoversche Theater.

Als Erinnerungsort ist der Ballhofplatz Teil der thematischen Stadtrundgäng des Projekts "Zukunft heißt erinnern. Stadtrundgang zu Orten der Verfolgung und des Widerstands 1933-1945 in Hannover".

Der Ballhof

Ursprung als Sporthalle

An einem Maitag des Jahres 1649 begannen Soldaten auf dem unbebauten Gelände des alten St. Gallenhofs inmitten der Stadtmauern Hannovers mit Ausschachtungsarbeiten. Die Fundamente mussten tief sein, denn hier entstand auf Befehl von Herzog Georg Wilhelm ein mächtiges Gebäude: der Ballhof. Erst wenige Jahre zuvor und mitten im Dreißigjährigen Krieg hatte 1636 eine Linie des welfischen Herrscherhauses Braunschweig-Lüneburg ihren Sitz in die bislang nicht eroberte Bürgerstadt gelegt. Das damit zur Residenzstadt erhobene Hannover wandelte schnell sein Gesicht: Bereits im Jahre 1642 konnte ein neu gebautes Schloss am Leineufer bezogen werden, 1643 wurde mit dem Bau des Zeughauses am Hohen Ufer für die Einlagerung von Waffen begonnen. Wir schreiben das Zeitalter des Barock und des politischen Absolutismus. Eine glänzende Präsentation sollte den fürstlichen Herrschaftsanspruch nach außen legitimieren, ausschweifende Feste banden den Adel an den Hof und schalteten ihn als mögliche Konkurrenz aus. Man sprach Französisch, naturellement, und als fernes Vorbild diente der französische Hof. Dort war unter jungen Adligen schon länger ein Ballspiel in Mode. Als Herzog Georg Wilhelm 1648 gerade einmal 23jährig die Nachfolge im Leineschloss antrat, sorgte er schon im zweiten Jahr seiner Herrschaft für den Bau eines standesgemäßen Ballhauses nach Pariser Vorbild.

Das königliche Ballspielhaus in Paris, 1632. Kupferstich aus dem Buch „Le Jeu royal de la paume“ von Charles Hulpeau

Als adlige Leibesübung hat das Ballspiel bis zum heutigen Tennis eine lange Geschichte. Kleine weiße Bälle wurden als „jeu de paume“ mit den Handflächen, später mit Raketten (gepolsterten Handschuhen), schließlich bespannten Schlägern geschlagen. Das Zuspiel erfolgte anfangs „über Bande“ im Freien zwischen Mauern. Daraus entwickelten sich überdachte Ballhäuser, die ihr einziges Licht über die Öffnungen einer umlaufenden Galerie erhielten. Die Spielregeln waren kompliziert und umfassten unterschiedlich hoch platzierte Netze, „Gewinnlöcher“ in den Mauern und ein komplexes System von Aufschlägen und Gewinnpunkten. Gemeinsam hatten diese Spielstätten ihre hohen schwarz gestrichenen Innenmauern und eine Ost-West-Ausrichtung, um die blendende Nachmittagssonne von den Lichtöffnungen fernzuhalten; einen Grundriss etwa im Verhältnis 3:1; Galerien im Parterre wie auch unter dem Dach; Räume zum Ausschank von Erfrischungsgetränken wie auch zur Heißmassage und zum körperlichen Ausspannen.

Von Hannovers Ballhof des Jahres 1649 sind keine Bauzeichnungen erhalten, aber er erfüllte alle diese Anforderungen an eine Spielstätte: vier massive fensterlose Mauern aus Bruchstein, gekrönt von einer umlaufenden Fachwerkgalerie unter einem mächtigen Walmdach. Als dieses während der Altstadtsanierung abgedeckt wurde, zeigte sich ein fast 300 Jahre altes Meisterwerk der Zimmermannskunst: Die Überspannung des Saales bestand aus 12 Meter langen Deckenbalken aus Eiche, die durch einen Längsbalken von mehr als 30 Meter Länge verbunden waren.

Eine Mehrzweckhalle

Bereits zwanzig Jahre nach seiner Erbauung verschenkte der Herzog den Ballhof an einen Günstling – unter der Bedingung, dass er von ihm und seinen Erben jederzeit für den Ballsport zu erhalten sei. Nur kam dieser mit der Zeit aus der Mode, und mit dem 18. Jahrhundert begann eine schier unendliche Reihe neuer Nutzungen. Ein Theaterbetreiber im Ballhof zählte Mitte des 19. Jahrhunderts auf, wozu der Saal schon gedient hatte: „Menschen- und Affen-, Zauber- und Wachsfigurentheater, Kunstreiter und Seiltänze, Konzerte und Maskeraden“ (…).

Wohl bereits um 1750 wurde das offene „Ballhaus“ zum geschlossenen „Ballhof“ umgebaut. Es wurden nun nicht mehr Bälle geschlagen, sondern Bälle gefeiert und Theater gespielt. Dazu mussten die großen Lichtöffnungen des Obergeschosses mit Fenstern geschlossen werden, um das Haus winterfest zu machen: Die Zeit der Bälle und Maskenumzüge nach venezianischem Vorbild lag in der Karnevalszeit zwischen Januar und Aschermittwoch. Die erste Theateraufführung im Ballhof ist für den 8. Mai 1752 nachweisbar: „Auf dem Ballhofe hieselbst ist von Braunschweig eine zahlreiche Gesellschaft italienischer Comödianten angekommen. (…)“. Im folgenden Jahr gastierte hier eine italienische Operntruppe. Aber nun meldete sich das Bürgertum auf der Bühne zu Worte. Als im Jahre 1763 die Theatertruppe Konrad Ernst Ackermanns, einem Mitbegründer des deutschsprachigen Schauspiels, erstmalig nach Hannover kam, trat sie im Ballhof auf – die Hofbühne im Leineschloss blieb ihr noch verschlossen. Gleichwohl waren ihre Stücke ein so großer Publikumserfolg, dass zur Regelung des (Kutschen)Verkehrs erstmalig in Hannover eine Einbahnstraßenregelung für die An- und Abfahrt verfügt werden musste. Seiner guten Akustik wegen wurde der Ballhof auch ein beliebter Ort für Konzerte. Seit den 1770er Jahren gab die Hofkapelle hier während der Wintermonate wöchentlich Konzerte – das Hoftheater im Leineschloss war kaum heizbar und bot einen schlechteren Klang. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfreuten sich Abonnementskonzerte im Ballhof sehr großer Beliebtheit beim Publikum. Mit Eröffnung des Konzertsaales in Laves neuem Hoftheater wechselten diese 1852 an den Georgsplatz.

Ort der Demokratie

Seit etwa 1850 verlor der Ballhof seine Rolle als zentrale Aufführungs- und Vergnügungsstätte zugunsten modernerer und attraktiver gelegener Säle. Dafür wurde er ein wichtiger Ort für politische Versammlungen. Als Ausläufer der Märzrevolution auch das Königreich Hannover erreichten, stellte am 16. März 1848 eine Bürgerversammlung im Ballhof zwölf „Forderungen des Volkes an den König“ auf, die am folgenden Tag dem Monarchen Ernst August übergeben wurden. Unter ihnen befand sich auch die Forderung nach freier Ausübung und politischer Gleichberechtigung der verschiedenen Religionen. Und wirklich brachten politische Reformen mit der liberalen Verfassung von 1848 erstmalig die volle rechtliche Gleichstellung der jüdischen Minderheit einschließlich Gewerbe- und Ansiedlungsfreiheit. Ein kurzer Erfolg – bereits im Jahre 1855 hob Georg V. die liberale Verfassung wieder auf und das Königreich Hannover bestätigte seinen Ruf als Hochburg der Reaktion in Deutschland. Rückschrittlich war es auch in seiner Wirtschaftsentwicklung: Die hannoverschen Welfen hatten bis dato erfolgreich rauchende Schlote aus ihrer Residenzstadt zu verbannen gewusst. Die industrielle Revolution fand derweil nebenan, im damals noch selbständigen Dorf Linden, statt.

Mit Macht brach sich die wirtschaftliche Entwicklung nach der Annexion des welfischen Königreichs durch das siegreiche Preußen 1866 die Bahn. Während Hannover zur preußischen Provinzhauptstadt hinabsank, stieg es innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der größten Industriezentren Deutschlands auf. Durch Zuzug multiplizierten sich seine Bevölkerungszahlen und es entstand ein Industrieproletariat, das sich schnell organisierte. Zwischen den mächtigen Mauern des Ballhofs wurde wieder Demokratiegeschichte geschrieben: Im Mai 1867 stand hier die Wiege der hannoverschen Sozialdemokratie. Nach zwölf Jahren im Untergrund begründete sich die durch das „Sozialistengesetz“ verbotene SPD im November 1890 mit einer Versammlung im Ballhof neu. Während des Parteiverbots konnten absurderweise ihre Vertreter weiter an den Reichstagswahlen teilnehmen – und beginnend mit der Wahl 1887 in der Doppelstadt Hannover-Linden regelmäßig die Mehrheit gewinnen. Auch für die Gewerkschaftsbewegung spielte der Ballhof eine große Rolle. Im Juli 1890 gründete sich in seinen Räumen der Fabrikarbeiterverband „Verband der Fabrik-, Land- und gewerblichen Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands“ als Zusammenschluss insbesondere ungelernter Arbeiterinnen und Arbeiter der Montan-, Chemie- und Papierindustrien. Seine Nachfolgeorganisation Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie IG BCE hat noch heute ihren Hauptsitz in Hannover.

Aufruf zur Maifeier 1914 im Ballhof, abgedruckt in: Sozialdemokratische Tageszeitung „Volkswille“ (26.04.1914)

Im Kampf der Arbeiterbewegung spielten Feiern und Versammlungen eine wichtige Rolle, und viele davon fanden im Ballhof statt. So die erste Märzfeier am 18. März 1973, bei der mehrere Tausende der in der Märzrevolution 1848 und während der Pariser Commune 1871 gefallenen Arbeiter gedachten. Gegen Ende des Jahrhunderts begannen die Märzfeiern hinter die Feier des 1. Mai zurückzutreten, der 1889 auf dem Pariser Gründungskongress der zweiten Sozialistischen Internationale zum Kampftag aller Arbeiter deklariert wurde. Was blieb, war der Versammlungsort Ballhof.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Ballhof mit Kino „Nationaltheater“ und Gesellschaftsclub „Aada“ ein Zentrum schwul-lesbischen Lebens. Im Jahre 1929 stand er kurz vor dem Abriss. Zuletzt zum Auktionshaus und Möbellager heruntergekommen, kaufte die Stadt ihn 1936 zur Sanierung an.

Die Altstadt – ein Sanierungsfall

Mittelalterliches Fachwerk

Ballhofstraße von der Knochenhauerstraße aus, 1932. Foto von Wilhelm Hauschild

Hannover besaß vor dem Zweiten Weltkrieg mit Altstadt und Calenberger Neustadt die größten Fachwerkquartiere Deutschlands. Doch romantische Gassen und Mondschein auf dem Wasser um die Leineinsel („Klein-Venedig“) konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hinter der Oberfläche schon lange unmenschliche Wohnbedingungen verbargen. Die Industrialisierung mit ihrer Bevölkerungsexplosion hatte zu einer dramatischen Überbelegung dieser Innenstadtbereiche geführt – Höfe wurden mit Hinterhäusern bebaut, ehemalige Speicher, Ställe, Dachböden und Werkstätten in Mietwohnungen verwandelt. Die sanitären Bedingungen waren meist elend. In der besonders engen Gegend um die Ballhofstraße standen für 259 Haushalte mit 870 Personen gerade einmal 139 Toiletten zur Verfügung, die sich oft auf dem Hinterhof befanden. Hannovers sozialdemokratischer „Volkswille“ schrieb im Februar 1930: „Wanzen und Ratten sind die gräßlichsten Plagen der Altstadt, besonders in der verschmutzten Kloake, die sich Leine nennt. Hier, wo monatelang tote Schweine und die ekelhaften Kadaver im Wasser liegen, gedeihen die Ratten, wie Bakterien in den Häusern gedeihen“.

Küche einer sogenannten „Elendswohnung“ in der Ballhofstraße 7. Fotoserie des Wohnungsamts Hannover, um 1935

Diese Quartiere der Not waren gleichzeitig Brennpunkte sozialer und politischer Radikalisierung in der Endphase der Weimarer Republik. Während andere Stadtteile eine eindeutige Prägung hatten – Hannover-Linden war „rot“, die Südstadt und die bürgerliche List galten als „braun“ – erreichten sowohl NSDAP als auch KPD in der Altstadt hohe Wahlergebnisse. Bei den Reichstagswahlen im November 1932 ergab die Stimmauszählung im Wahllokal 59 mit Knochenhauerstraße und Ballhofstraße mehr als 40 Prozent Anteile für die KPD sowie knapp 30 Prozent für die Nazis. In diesem typischen „Proletenviertel“ (so ein Zeitzeuge) war noch im Jahre 1929 zu über 50 Prozent die SPD gewählt worden. Nun waren die Straßen von Gewalt beherrscht. An der Kreuzkirche war die ehemalige Rotlichtkneipe „Kreuzklappe“ zum Sturmlokal der Nazi-Schlägertruppe SA geworden, die von hier zu Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner ausschwärmte.

Die im Jahre 1934 abgeschlossene Gesamtplanung zur Altstadtsanierung begann bereits, bevor das Hakenkreuz über dem Neuen Rathaus wehte. Bürgermeister Menge und Stadtbaurat Elkart hatten sie vorangetrieben, beide überdauerten die Machtübertragung an die Nationalsozialisten und standen für Kontinuität. Diese „Altstadtgesundung“ sollte drei Bereiche umfassen: Das Ballhofviertel, einen Bereich hinter der Markthalle sowie den Block zwischen Köbelingerstraße und Friedrichstraße (heute: Friedrichswall). Aber noch fehlten die versprochenen Zuschüsse aus Berlin. Als sie 1936 bereitgestellt wurden, konnten unter Propagandabegleitung der gleichgeschalteten Medien die Baumaßnahmen beginnen.

„Die Spitzhacke schafft Luft und Licht“

Abbruch und Sanierung in der Ballhofstraße, Juli 1936. Foto von Wilhelm Hauschild

Im Juli 1936 begann der Abriss erster Häuser in der engen Ballhofstraße. Vorher hatte die Stadt bereits einen Großteil der notwendigen Grundstücke ankaufen können. Nach Warnungen des Denkmalschutzes versprach das Sanierungskonzept, wertvolle Bauten zu erhalten und bei  Neubauten die „Eigenart des alten Stadtteiles“ zu wahren. Entkernung der Hinterhöfe mit Abbruch aller Hintergebäude sollte das Wohnquartier gründlich „entlüften“. Die Südseite der Ballhofstraße wurde nach ihrem Abriss nicht wieder bebaut, damit öffnete sich der Blick auf den von Umbauten freigelegten historischen Ballhof. Über seine künftige Nutzung war noch nicht entschieden; prominente Stimmen sprachen sich für einen Kammermusiksaal oder Vortragsraum aus. Der Vorplatz war als baumbestandene Grünanlage geplant. Im Dezember 1936 berichtete die Presse erstmals über den Beschluss der Stadtverwaltung, im Ballhof ein Heim für die Hitler-Jugend einzurichten. Dahinter stand die NSDAP, denn in diesem Zeitraum wurde deutschlandweit mit der „Heimbeschaffungsaktion“ der Druck auf Kommunen erhöht, HJ-Heime zu finanzieren. Und der kommende Gauleiter in Hannover, Hartmann Lauterbacher, war stellvertretender „Reichsjugendführer“… Im Februar 1937 jubelte die nationalsozialistische „Niedersächsische Tageszeitung“: „Licht, Luft und Gesundheit für einen altersschwachen Stadtteil, und gerade hier soll der deutschen Jugend ein Heim entstehen, das zum Symbol des Erneuerungs- und Gesundheitswillens werden soll“.

Stand der Sanierung der Altstadt mit dem Ballhof, 1939. Rechts vorherige Situation

Drei Jahre nach Beginn, im Sommer 1939, konnte dieser Abschnitt der Altstadtsanierung abgeschlossen werden. Er umfasste die gesamte Ballhofstraße, die Kreuzstraße sowie Teile des Kreuzkirchhofs und der Burgstraße. Ein Schritt zur Behebung der Wohnungsnot war dies nicht, im Gegenteil: Aus 310 Wohnungen waren 83 geworden, die nun allerdings größer, heller und moderner waren. Dass sie auch neue Bewohnerinnen und Bewohner bekamen, war Absicht. Denn vor Beginn der Abrisse war die angestammte Wohnbevölkerung größtenteils in Schlichtbehausungen („Volkswohnungen“) am Stadtrand umgesiedelt worden. Ein Vergleich der Adressbücher der Jahre 1933 und 1940 zeigt einen sozialen Austausch: Wo vorher Arbeiter, Handwerker, alleinstehende Alte und kleine Dienstleistende wie Kellner oder Fahrer wohnten, zogen nun vorzugsweise städtische Beamte und Angestellte ein – schließlich blieb ein Großteil der Gebäude im Besitz der Stadt Hannover. Im Dreieck zwischen HJ-Heim, dem Sturmlokal der SA in der Kreuzstraße und einem neu eingerichteten Polizeirevier im Eckhaus Burgstraße/Ballhofstraße herrschte jetzt soziale und politische Kontrolle.

Heime für „Hitler-Jugend“ und „Bund Deutscher Mädel“

„HJ Heim Ballhof Hannover“. Ansichtskarte aus dem Kunstverlag H. Lukow, undatiert

Der Umbau des abbruchreifen Ballhof zum vorgeblich schönsten HJ-Heim in Deutschland stellte durchaus einen Propagandaerfolg dar. Um Superlative war man ohnehin nicht verlegen: Aus Anlass der Übergabe des Festsaales wurde dieser vom Direktor des Stadtarchivs zugleich zur „ältesten Sporthalle der Welt“ erklärt. Der sanierte Ballhof mit seinem Feierraum mit etwa 500 Sitzplätzen und mit einer Bühne bildete das Zentrum der Anlage. Eine einstöckige Ehrenhalle verband ihn mit dem neu errichteten Heim der „Hitler-Jugend“ HJ, während sich zur Burgstraße nach einem einstöckigen Verbindungstrakt das historische „Spitta-Haus“ als Heim des „Bundes deutscher Mädchen“ BDM anschloss. Da dieser schöne Fachwerkbau von 1669 an seinem ursprünglichen Standort den Blick auf den Platz versperrt hätte, wurde er abgerissen und unter großen Veränderungen und ein Stockwerk niedriger an der Burgstraße neu errichtet. Das gesamte Ensemble wurde durch den neuen Ballhofplatz verbunden – nun freilich nicht wie versprochen als „Schmuckplatz“ mit Rasen und Blumen, sondern gepflastert für die Aufmärsche und Fahnenappelle der Staatsjugend.

Der neue Ballhofplatz: Aufmarsch der Hitler-Jugend vor dem HJ-Heim, 1939

Feierraum (Ballhofsaal) des HJ-Heims Ballhof, 1939. Foto von Axel Dieter Mayen

Der Zugriff des Staates auf die Jugend war total: Eine Kette von Heim- und Sportabenden, Wehrübungen, Wochenendfahrten und Zeltlagern ließ kaum noch Zeit für Eigenes. Parteiführer Adolf Hitler beschrieb in eine Rede 1938, wie Jugendliche ab dem Alter von 10 Jahren lückenlos verschiedene NS-Organisationen durchlaufen. Er endete seine Aufzählung mit dem Satz: „...und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!“ Dabei bedienten sich HJ und BDM geschickt bei Fahrtenabenteuern und Lagerfeuerromantik der Jugendbewegung. Technisch interessierten Jungen boten sich Marine-, Flieger- oder Motor-HJ an, Mädchen wurden als künftige Hüterinnen des Herdes und (Soldaten)Mütter angesprochen und so mancher Jugendliche mag insgeheim froh gewesen sein, den Augen der Eltern des öfteren zu entkommen.

Scharraum des HJ-Heims Ballhof. Ansichtskarte aus dem Kunstverlag H. Lukow, undatiert

Die Vereinnahmung der Jugend ist bis heute dem Sinnspruch auf der Stirnseite des ehemaligen BDM-Heims abzulesen: „Wir Jungen haben die Aufgabe / neue Wege zu suchen und zu bahnen / und den Mut / sie zu gehen“. Er geht zurück auf den völkischen und antisemitischen Dichter Georg Stammler (Pseudonym für Ernst Emanuel Krauss 1872-1948).

Sig-Rune und Wolfsangel am ehemaligen BDM-Heim („Spittahaus“). Die Wolfsangel war unter anderem das Zeichen der SS-Elitedivision „Das Reich“, die einfache Sig-Rune das Emblem des Deutschen Jungvolks in der Hitler-Jugend, die doppelte Sig-Rune das Emblem der Schutzstaffel (SS).

In unmittelbarer Nähe dazu finden sich in Stein mit der Wolfsangel und der Sigrune zwei Symbole mit einem unmittelbaren Bezug zum Nationalsozialismus: Die Wolfsangel war unter anderem das Zeichen der SS-Elitedivision „Das Reich“, die einfache Sigrune das Emblem des Deutschen Jungvolks in der Hitler-Jugend, die doppelte Sigrune Emblem der Schutzstaffel (SS). Ihre Verwendung ist in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Ehemalige Mitglieder der Hitler-Jungen bezeugen heute, dass sie während des Krieges nach Veranstaltungen im Ballhof zum „freiwilligen“ Eintritt in die Waffen-SS gedrängt wurden.

Nach dem Krieg: Der „Ballhof-Stil“

Trümmerreste am Ballhofplatz, 1950. Foto von Wilhelm Hauschild

Vorausschauend waren alle Neubauten der 1930er Jahre um den Ballhofplatz mit Luftschutzräumen ausgestattet worden, der Ballhof selber erhielt einen Tiefbunker für etwa 350 Personen. Bei dem massiven Nachtangriff des 9./10. Oktober 1943 wurden die Fachwerkviertel Hannovers fast vollständig vernichtet. Die Bauten um den Ballhof überstanden als Steinbauten mit Brandmauern und unter weitgehendem Verzicht auf Fachwerk den Krieg vergleichsweise glimpflich. Schon nach der Zerstörung des Schauspielhauses im Oktober 1943 war das städtische Schauspiel in den Saal des Ballhofs gezogen, bis alle deutschen Theater zum 1. September 1944 den Betrieb einstellten. Aber schon im November 1945 wurde im Ballhof wieder Theater gespielt, und das Gebäude blieb trotz seiner beschränkten Größe bis Anfang der 1990er Jahre die wichtigste Spielstätte für das hannoversche Schauspiel.

Titelseite des Programms der Spielzeit 1950/51

Not macht erfinderisch, und nach der Erfahrung von zwölf Jahren war man die großen Worte und hohlen Phrasen leid. Unter dem Label „Ballhof-Stil“ wurden deutschlandweit Aufführungen bekannt, die sich durch eine Werkstatt-Atmosphäre mit radikal reduzierter Bühnenausstattung und den Verzicht auf Effekte und Pathos auszeichneten – umgesetzt durch eine Reihe ausgezeichneter Schauspielerinnen und Schauspieler, von denen viele wie Marilene von Bethmann, Elfriede Rückert, Günther Neutze, Hanns Lothar (Neutze), Günter Strack oder Klaus Schwarzkopf später erfolgreich für Film, Rundfunk und Fernsehen arbeiteten. Nachholend konnte ein ausgehungertes Publikum mit Stücken von Camus, Gide, O‘Neill oder Tennessee Williams die zeitgenössische Dramatik kennenlernen. Im Kältewinter 1946/47 blieb allerdings der Vorhang mangels Beheizbarkeit des Theaters für vier Wochen geschlossen.

Bereits in den 1950er Jahren wurde die Bühne des ehemaligen HJ-Festsaals erweitert. In den Jahren 1973/74 wurde der Ballhof in ein modernes Kammerspieltheater mit 300 Plätzen umgebaut und seit 1992 nach Bau des neuen Schauspielhauses als „Kleines Haus“ weitergeführt. Seit 1990 kamen als zweite Spielstätte die Probebühne und für Aufführungen des Jungen Schauspiel der Ballhof 2 als Nachbarn hinzu.

Oase mit Events

Der Bombenkrieg hatte jede zweite Wohnung Hannovers zerstört, im unmittelbaren Zentrum etwa 90 Prozent der Gebäude. In der langen Ära von Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht (1948-1975) wurde Hannover zur bewunderten Modellstadt für den Neuaufbau. Mehrspurige Innenstadtringe erschlossen die Stadt für den Autoverkehr, ausgedehnte Fußgängerzonen sollten attraktives Einkaufen bieten. Abseits der quirligen Shoppingstraßen wurde eine Traditionsinsel als Erinnerung an die untergegangene Fachwerkstadt geschaffen: In der Kramerstraße hatten etwa zehn Altbauten überlebt, sie wurden durch vorgesetzte Fachwerkfassaden in der Burgstraße ergänzt, später kam noch der Nachbau des historischen Leibniz-Hauses am Holzmarkt hinzu. Auf diese Weise entstand zwischen Marktkirche und Leineufer, Kramerstraße und der kleinen Gartenstadt um die Kreuzkirche eine verkehrsarme Insel der Ruhe mit nostalgischem Flair.

Altstadtfest 1971: Hannoversche Theater präsentieren sich auf dem Ballhof

In der Mitte dieser Insel der Ruhe liegt der Ballhofplatz – heute einer der beliebtesten Orte Hannovers. Mit den weiteren Sehenswürdigkeiten der Stadt ist er durch den Roten Faden verbunden, und mit seinen beiden Theatern und dem Historischen Museum und der Ada und Theodor Lessing Volkshochschule in der anschließenden Burgstraße wurde er ein belebter kultureller Hotspot. Nirgendwo kann man wie hier im Sommer so gut auf Liegestühlen in der Sonne chillen. Und der Platz wird selber zur Bühne, wenn zu Open-Air-Jazzkonzerten geladen wird oder sich Tänzerinnen und Tänzer in der Tangonacht drehen. Im Winter lockt das finnische Weihnachtsdorf mit skandinavischen Köstlichkeiten, und ein Mittelaltermarkt lässt vergangene Zeiten auferstehen. Einem anderen Gedenken galt der virtuelle Boxring, der im Mai 2011 an den Sinto-Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann erinnerte, dem 1933 aus rassischen Gründen der Titel des deutschen Meisters im Halbschwergewicht verweigert worden war und der im Konzentrationslager starb. Er wuchs unter ärmlichen Bedingungen unweit der Kreuzkirche auf und startete von hier seine Karriere.

Text: Michael Pechel