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Bericht über die Situation in den „Judenhäusern“ in Hannover vom 7. September 1941

Die Abschrift des Berichts von Julius Jacoby aus Hannover an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland vom 7. September 1941, in welchem er über die Situation in den „Judenhäusern“ in Hannover berichtet.

Der folgende Wortlaut des Berichts (ohne Anmerkungen) ist wissenschaftlich kommentiert und abgedruckt als Dokument Nr. 215 (S. 527-529) in:
Andrea Löw u.a.  (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Band 3: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren, September 1939–September 1941. München 2012 , ISBN 978-3-486-58524-7
Der Band steht kostenlos zum Download bereit unter: https://doi.org/10.60674/ifz-2012-001-00

Bericht von Julius Israel Jacoby, Hannover, vom 7.9.1941:

Reise-Bericht
Betr.: Umsiedlungsaktion der jüdischen Bevölkerung in Hannover

Am 6./7. September d. Js. fuhr ich auf Veranlassung der Reichsvereinigung nach Hannover und habe folgendes zu berichten: Die Umsiedlungsaktion ist abgeschlossen. Sämtliche hannoverschen Juden (rund 1600) sind jetzt in 15 Häusern zusammengeballt. Von diesen 15 Unterkünften besichtigte ich mit Herrn Dr. Schleisner und zum Teil mit dem Gemeindesekretär Herskovitz 6 Stellen verschiedener Rangstufen, um mir ein objektives Bild zu verschaffen.

Bergstraße 8
(bislang Büroräume der Reichsvereinigung, Bezirksstelle Hannover, Synagoge und gleichzeitig Turnhalle).
Übermäßige Anhäufung, Bett neben Bett, kein Platz für Gänge. Keine Geschlechter-Trennung, Verheiratete und Unverheiratete, alte und junge Menschen, Kinder und Säuglinge unterschiedslos in der Turnhalle und auf schmalen Galerien untergebracht. Notausgänge versperrt. Tische und Stühle fehlen wegen Platzmangels. Menschen hocken zumeist auf den Betten und nehmen auch dort ihre Mahlzeiten ein. In einer 4 m unter der Straße liegenden Waschküche wird das Essen zubereitet. Vorratsräume unhygienisch. Luftschutzkeller fehlen, weil diese für Küche und Vorräte in Anspruch genommen. 4 Wasserzapfstellen und 5 Toiletten für die ganze Belegschaft, einschließlich der Angestellten der Reichsvereinigung. Keine Möglichkeit zum Waschen der Wäsche. 134 Menschen sind dort eingewiesen, untergebracht sind bislang 90, damit aber bereits überbelegt.

Lützowstr. 3
(früheres Gemeindehaus und Schule).
Wiederum übermäßige Belegung, pro Person keine 3 qm Grundfläche. Zum Beispiel sind in einem Raum von 42 qm Grundfläche 5 Erwachsene, eine fünfköpfige Familie und eine vierköpfige Familie, zusammen 14 Personen. Ebenfalls befinden sich Menschen im offenen Dachstuhl, außerordentlich feuergefährlich. Mehrere Menschen liegen in einem Bett. Tuberkulose-Kranke. Toiletten ausreichend, weil auf dem Hof 6 frühere Schul-Klosetts vorhanden. 95 Personen sind eingewiesen, mit den früheren Bewohnern zusammen 125 Personen.

Schelvinstr. 12
(älteres Wohngebäude, mit arischen Familien gemischt).
Gekocht wird in kleinen Küchen, in denen sogar Menschen wohnen müssen. Wanzen, sonst wie vorher. 58 Personen eingewiesen, mit denen, die dort schon wohnten, 76 Personen.

Knochenhauerstr. 61
(altes, im Inneren zerfallenes Fachwerkgebäude).
Wanzen, Ratten, Toiletten vom hygienischen Standpunkt aus unmöglich. In einem nur 15 qm großen Raum 4 Personen und 1 Kind. Unter der Belegschaft ein schwer gelähmter Mann. 2 arische Familien im Hause. 29 Personen eingewiesen, mit den früheren Personen, die dort wohnten, zusammen 35 Menschen.

Körnerstr. 24
An sich gutes Wohngebäude in guter Wohngegend, nur dieselbe Überfüllung wie vorher-gesagt. Beispiel: in einem 30 qm großen Raum 10 Menschen und 1 Kind. Auf 30 Personen 1 Abortsitz. Fenster zum Teil mit Möbeln verstellt. Lüftung behindert. Arische Familien in demselben Haus. 90 Personen eingewiesen. Mit den früheren 19 Bewohnern 109 Per-sonen.

Israelitisches Krankenhaus und Altersheim. Ellernstr. 14
gehört zu den besten Unterkünften, erklärlich, weil die sanitären Einrichtungen des Kran-kenhauses zur Verfügung stehen. Kranken-Abteilung ist nicht berührt worden. Im allge-meinen Versuch, Geschlechter-Trennung vorzunehmen, ließ sich nicht ganz durchführen. In 3 Zimmern je 2 Ehepaare und Einzelpersonen untergebracht. Das Krankenhaus ist bereits jetzt durch notwendige Aufnahmen überfüllt.

Zusammenfassung:
Bei der Zusammenballung und den unhygienischen Verhältnissen besteht Epidemiegefahr. Eine umgehende Verbesserung erscheint notwendig. Diese ließe sich nur dadurch erzielen, daß mehr Wohnraum für die jüdische Bevölkerung freigegeben wird. Von Herrn Dr. Schleisner werden die Häuser Körnerstr. 5 (früheres Altersheim), Wisemannstr. 11 und 12 (ebenfalls Eigentum der Reichsvereinigung, früher Simonsche Stiftung) in Vor-schlag gebracht. Außerdem wäre es zweckmäßig, wenn der Gemeinde die Unterbrin-gung der jüdischen Bevölkerung bezw. die Verteilung des Wohnraumes überlassen wer-den könnte und ihr bei Neu-Verteilung längere Fristen gewährt werden.