Hannovers Jüdinnen und Juden mussten in „Judenhäuser“ ziehen
Am Morgen des 3. September 1941 stellte die Polizei rund 1.200 Jüdinnen und Juden in Hannover eine Verfügung der Stadt Hannover zu. Sie wurden gezwungen, ihre Wohnungen bis 18 Uhr am 4. September zu räumen. Als neue Unterkunft wies ihnen die Stadt Hannover Plätze in 15 völlig überfüllten sogenannten „Judenhäusern“ zu. Die Zwangsghettoisierung wurde unter dem Namen „Aktion Lauterbacher“ bekannt. Sie war die Vorstufe für die am 15. Dezember 1941 beginnende Deportation der hannoverschen Juden.
Ab April 1939 erlaubte das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ es den deutschen Kommunen, jüdische Bürger*innen in gesonderten Häusern und Wohnungen zusammenzulegen, notfalls unter Zwang. In Hannover ließ Stadtrat Wilhelm Bakemeier, Dezernent des Wohnungsamts, im Sommer 1939 zunächst die Wohnungen mit jüdischen Mietern erfassen. Mietkündigungen und Zuweisungen jüdischer Untermieter sorgten bis 1941 dafür, dass die hannoverschen Jüdinnen und Juden nur noch in rund 200 Wohnungen leben.
„Aktion Lauterbacher“
Auf Betreiben von Gauleiter Hartmann Lauterbacher erarbeitete die Stadtverwaltung im Sommer 1941 ein Konzept zur Räumung der jüdischen Wohnungen und Zwangseinweisung der Bewohner in Häuser mit jüdischer Eigentümern. Diese Aktion sollte vorgeblich Wohnraum für zukünftig ausgebombte Hannoveraner*innen schaffen. In Wahrheit sollten Juden von der nichtjüdischen Bevölkerung getrennt werden. Die am 3. September zugestellte Räumungsverfügung forderte die hannoverschen Juden dann auf, bis zum Abend des 4. September ihre Wohnungen zu räumen und die Wohnungsschlüssel bei der Polizei abzugeben. Zurückgelassene Möbel und Einrichtungsgegenstände wurden später, anders als in der Verfügung behauptet, zugunsten des deutschen Staats versteigert.
Lebensverhältnisse in den „Judenhäusern“
In den ihnen zugewiesenen Häusern lebten die hannoverschen Jüdinnen und Juden sehr beengt unter katastrophalen hygienischen Umständen. Nur wenige Besitztümer konnten sie aus ihren früheren Wohnungen mitnehmen. Die Verhältnisse im „Judenhaus“ in der Lützowstr. 3, dem Schulgebäude der jüdischen Gemeinde Hannover, beschrieb beispielsweise ein Mitarbeiter der Reichsvereinigung der Juden:
„Wiederum übermäßige Belegung, pro Person keine 3 qm Grundfläche. Zum Beispiel sind in einem Raum von 42 qm Grundfläche 5 Erwachsene, eine fünfköpfige Familie und eine vierköpfige Familie, zusammen 14 Personen. Ebenfalls befinden sich Menschen im offenen Dachstuhl, außerordentlich feuergefährlich. Mehrere Menschen liegen in einem Bett. Tuberkulose-Kranke. Toiletten ausreichend, weil auf dem Hof 6 frühere Schul-Klosetts vorhanden. 95 Personen sind eingewiesen, mit den früheren Bewohnern zusammen 125 Personen.“
Eine Bewohnerin der Lützowstraße, Emilie Kornberg, erinnerte sich nach dem Krieg: „Nichts, aber auch nichts durften wir mitnehmen, außer einem Bett, einem Schrank, einem kleinen Tisch und drei Stühlen. Dies Mobiliar war für drei Personen insgesamt bestimmt.“
Deportation aus den „Judenhäusern“
Am 15. Dezember 1941 wurden in einem ersten Transport 1.001 Jüdinnen und Juden von Hannover nach Riga deportiert, darunter 98 Bewohner der Lützowstr. 3. Ruth Herskovits-Gutmann, damals 13 Jahre alt, erinnerte sich später an die Leere und Stille im Haus nach der Deportation:
„Die verstreut herumliegenden Sachen boten ein trostloses Bild: eine alte Puppe, eine farbenfrohe Seidenbluse, ein Lederbehälter für Nähgarn. All diese scheinbar wertlosen Kleinigkeiten waren von den nun abgeschobenen Menschen aus ihren eigenen Häusern und Wohnungen mitgebracht worden. Jetzt hatten sie sogar diese wenigen Sachen zurücklassen müssen.“
Die zurückgebliebenen Bewohner der Lützowstr. 3 wurden auf andere „Judenhäusern“ verteilt. Ruth Herskovits-Gutmann wurde schließlich 1943 mit ihrer Familie nach Theresienstadt deportiert. Im Oktober 1943 zerstörten Bomben das Haus Lützowstr. 3. Heute steht dort ein Parkhaus.