Gebäuderundgang

Der Hodlersaal

Der Hodlersaal war anlässlich der Feierstunde zu 100 Jahre Ratsfrauen gut besucht. 

"Nur der Lebendige beherrscht das Leben", steht über der Tür zum Hodlersaal im ersten Obergeschoss geschrieben. 

Dieser Sitzungssaal auf der Ostseite der Kuppelhalle gilt als der bedeutendste im hannoverschen Rathaus. Das liegt vor allem an dem monumentalen Wandbild des Schweizer Malers Ferdinand Hodler, das die gesamte Breite seiner Stirnseite einnimmt und den Raum dominiert. Sein Thema: die Einführung der Reformation in Hannover im Jahr 1533.

"Hart im Raume stoßen sich die Sachen." (Friedrich von Schiller, Wallenstein)

Wer den einstigen gemeinsamen "Sitzungssaal beider städtischer Kollegien"  (Magistrat und gewählte Bürgervorsteher) durch das Hauptportal betritt, den beeindrucken zunächst die Abmessungen von 16,40 mal 14,35 Metern. Mit neun Metern erreicht der Raum fast die Höhe eines dreigeschossigen Mietshauses. Der neue Rathaus-Architekt Gustav Halmhuber hatte die Aufgabe, den unter Vorgänger Hermann Eggert im Rohbau fertig gestellten Saal zu vollenden. Eggerts Rückgriff auf die Neo-Renaissance war nicht mehr gefragt. Halmhuber griff zu einer Mischung aus gemäßigtem Jugendstil und Elementen des aufkommenden Neo-Klassizismus. Die hohe Palisandervertäfelung strahlt bürgerliche Gediegenheit aus. Flach geschnitzte Figuren an den Ecken verkörpern Gewerbe, Schule, Steuern, Sicherheit, Markt und Kirche, die Säulen eines gefestigten städtischen Gemeinwesens. Sechs ovale Stuckreliefs schmücken die Brüstungen der Zuschauerränge: Sinnbilder für die praktischen Seiten kommunaler Selbstverwaltung – Feuerlöschwesen, Gesundheitspflege, Beleuchtungswesen, Gärtnerei, Bauwesen und Armenpflege.

Hodlersaal

Nur noch ein paar Schritte in den Saal hinein, dann den Blick zurück und nach oben gerichtet: Da ist es, Ferdinand Hodlers gewaltiges Monumentalgemälde "Einmütigkeit", dem der Saal seinen heutigen Namen verdankt. Ein optischer Paukenschlag auf 15-mal fünf Meter. In expressiven, fast grellen Farben, vorherrschend in Gelb- und Rottönen, setzt   Hodler (1853 - 1918) das Ereignis vom 26. Juni 1533 in Szene: Die Hannoveraner haben sich auf dem Marktplatz versammelt (Altes Rathaus links und Marktkirche rechts sind schemenhaft angedeutet). Ihr Wortführer Dietrich Arnsborg spricht das Gelöbnis. Die Bürger schwören durch Handaufheben, „fortan evangelische Brüder zu sein“. Pathetisch recken sie die Arme in die Höhe. Der Sprecher steht wuchtig auf einem Podest über der Saaltür, das nachträglich von Hodler vor Ort in das Bild eingefügt wurde. Die Männer in der vorderen Reihe sind individuell ausgeprägt, die im Hintergrund gleichförmig aufgereiht. "Linearen Stil" haben die Kunsthistoriker diese Besonderheit in der Malweise Ferdinand Hodlers genannt.

Die Botschaft weist über das geschichtliche Ereignis hinaus: Das Stadtbürgertum ist stark, wenn es eng zusammen steht wie einst die Schweizer Eidgenossen beim Rütli-Schwur: "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern."

Radikal bricht Hodlers Kunst mit der konservativen Historienmalerei des 19. Jahrhunderts und nimmt Strömungen vorweg, die sich später, unter anderen Vorzeichen, im sozialistischen Realismus manifestieren. Zu einer gestalterischen Einheit haben Bild und Saalarchitektur nicht gefunden. Doch gerade diese Spannung verleiht dem Raum die Aura des absolut Außergewöhnlichen.

Der Maler Max Liebermann hatte Stadtdirektor Heinrich Tramm, auf Hodler aufmerksam gemacht. Der war von dem Ehrgeiz erfüllt, moderne Künstler für die Ausgestaltung des Kuppelbaus zu gewinnen. Kaiser Wilhelm II. allerdings war von Hodlers Werk weniger begeistert, als ihn Tramm stolz am 20. Juni 1913, dem Tag der Einweihung, durch das Haus führte. Majestät sollen "die Brauen hochgezogen und sich wortlos abgewandt" haben. Die Nazis mochten den Saal schon gar nicht, nannten ihn "Ratsherrensaal", wobei die Ratsherren zu dieser Zeit nur noch berufen wurden und nichts zu sagen hatten. Es galt ja nun auch im Rathaus das "Führerprinzip".

Nachfolgende Generationen haben – wenn auch viel später – den Rang dieses großartigen Raumes an der Schwelle eines Epochenwechsels erkannt. Der Bauhistoriker Günther Kokkelink schrieb 1968, als der Saal noch in einem tiefen Dornröschenschlaf lag: "In seiner Unverwechselbarkeit und seiner relativ gut erhaltenen Ganzheit strahlt der Raum jenes Pathos aus, welches so typisch den Geist der Jahrhundertwende widerspiegelt. Es gibt meines Wissens kaum ein so gut erhaltenes Beispiel eines Jugendstilsaales in Deutschland, zumindest nicht in einer so dichten Aussagekraft."

Einblockungen:

"Alle diejenigen, die nun fortan evangelische Brüder zu sein und einander als treue Bürger zu achten gedenken und wollen, und bei dem Evangelium Jesu Christi beständig bleiben, dafür Leben und Gut einsetzen und nun im Namen Gottes fortfahren wollen, die sollen von sich geben ein sichtbares Zeichen, womit man das Gelöbnis geben könnte, und eine Hand in die Höhe heben. Und das ist so geschehen." (Gelöbnis auf den neuen Glauben vom 26. Juni 1533 nach einem Augenzeugenbericht).

Zeitläufte

Der Hodlersaal hatte, anders als die Festsäle auf der Südseite und der Bürgervorstehersaal im Westflügel, den zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Das zeitweise ausgelagerte Gemälde hing  wieder an Ort und Stelle, als der erste, noch von der britischen Besatzungsmacht eingesetzte Rat am 29. Januar 1946 hier zu seiner ersten Sitzung zusammen trat. Am 26. Oktober versammelte sich hier bereits die erste demokratisch gewählte Bürgervertretung., wählte Wilhelm Weber (SPD) zum Oberbürgermeister.  Im Dezember 1946 tagte der erste Niedersächsische Landtag zu Füßen der "Einmütigkeit". 1950 wurde der Deutsche Sportbund im Hodlersaal neu gegründet.

Doch bald wurde es still im Hodlersaal. Das Stadtparlament zog 1959 in den neu gestalteten Ratssaal um, der an die Stelle des beschädigten  Festsaals im Südflügel getreten war. Dunkel, muffig, eine akustische Zumutung, urteilten die Zeitgenossen über den Hodlersaal, der außer dem Oberlicht nicht einmal ein ordentliches Fenster hatte. Als Abstellraum, alle paar Jahre als Briefwahlstelle, fristete der Saal ein Schattendasein. Es gab sogar Umbaupläne im Stil der 50er-Jahre, die glücklicherweise nicht verwirklicht wurden.

Wozu ein Dornröschenschlaf doch manchmal gut sein kann: In den 70er-Jahren setzte eine Neubewertung der Kunst- und Baustile der Zeit um die Jahrhundertwende ein. Und zum Ende des Jahrzehnts erhielt der Hochbauamts-Architekt Thilo Mucke den Auftrag, den vergessenen Schatz zu heben.

Behutsam schritt Mucke zur Tat. Er ließ ein Rundbogenfenster in die Rückwand zum östlichen Innenhof brechen, stattete den seines Original-Mobiliars längst beraubten Saal mit Designer-Stühlen von Charles Eames aus und sorgte mit einer Farbgebung in Braun-Ocker für eine harmonischere Verbindung mit dem Hodlerschen Wandbild.

Die Akustik wurde durch einen Reflektor an der Decke und Auffaltung der Wandvertäfelungen wesentlich verbessert. Nun tagen wieder regelmäßig Ratsausschüsse im schönsten aller Rathaussäle. Und wenn ein besonderes Ereignis ansteht, dann dient natürlich der Hodlersaal als Szenerie: Hier wurde 1983 die Städtepartnerschaft mit Hiroshima besiegelt, am 17.November 2000 der großen Künstlerin Niki de Saint Phalle (Schöpferin der Nanas am Hohen Ufer) die Ehrenbürgerschaft verliehen. Am 24. Februar 2006 erhielt Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in dem Saal ebenfalls diese höchste Auszeichnung seiner Heimatstadt.

Die Nebenräume   

Kaminzimmer

Jahrzehnte hatten das Foyer des Hodlersaals und das östliche kleine Besprechungszimmer als Hausmeister-Büros und Abstellräume ein Schattendasein geführt. Das heute so genannte Kaminzimmer strahlt heute mit Original-Möbeln aus der Bauzeit des Rathauses wieder die bürgerliche Gediegenheit eines Repräsentationsraums am Ende der wilhelminischen Ära aus. Und das Foyer ist eine wahre Fundgrube für Liebhaber der Alltagskultur jener versunkenen Epoche: Original-Garderobe, Marmorwaschtisch und Spiegel haben zwischen gelagerten Toilettenpapierrollen die Nachkriegsjahrzehnte überdauert und sind 1980/81 sorgfältig  restauriert worden. Der Architekt Gustav Halmhuber hätte seine helle Freude daran gehabt. Seine Büste ist im Foyer des Hodlersaals zu sehen.

 


Texte mit freundlicher Genehmigung von Michael Krische.