Gebäuderundgang

Der Ratssaal

Blick in den Ratssaal

Die neu gegründete Demokratie suchte in den 50er Jahren nach ihren eigenen Ausdrucksformen. Man wollte heraus aus dem vermeintlichen Muff des Kaiserreichs und weg von dem rückwärtsgewandten Architektur-Traditionalismus der Nazi-Zeit. 

Man wollte Anschluss gewinnen an die Moderne, die aus Deutschland, von gewissen Ausnahmen etwa im Industriebau, zwölf Jahre lang verbannt worden war. Ja, man wollte raus aus dem als unzeitgemäß empfundenen Hodlersaal. So war das damals.

Die im Krieg mehr oder weniger stark beschädigten Säle im ersten Obergeschoss der Rathaus-Südseite boten sich für eine neue Nutzung an. Die junge Bundesrepublik hatte sich, auch materiell, überraschend schnell erholt und als Teil  der westlichen Welt etabliert. Dies sollte sich auch in den Bauten der Stadt niederschlagen. Die ehemaligen Festsäle, zum Feiern nach 1913 ohnehin fast nie mehr gebraucht, wurden zum neuen Zentrum der kommunalen Demokratie.

Und so wurde 1958 umgebaut: Nach Plänen von Hochbauamtschef Werner Dierschke und seinem Rathaus-Architekten Manfred Jorgas entstanden der heutige  Ratssaal, sein Foyer und der angrenzende Gobelinsaal im Geist einer neuen Zeit: Transparent, lichtdurchflutet und geprägt von einer Leichtigkeit, die zwar die Architektur jener Epoche bestimmte, aber noch nicht unbedingt ihre gesellschaftliche Wirklichkeit.

Der Ratssaal als Herzstück nimmt etwa zwei Drittel des einstigen Festsaals (siehe unten) ein. Auf 256 Quadratmetern gruppieren sich unter der abgehängten Decke  die gelb bezogenen Sessel und die Tische für die  64 Ratsmitglieder, den Oberbürgermeister und die Dezernenten. In den Fußboden im Innern des Ovals eingelegt ist ein Marmormosaik, das die Karte des modernen Hannover zeigt. Der ewige Stadtplan gilt inzwischen als einmalig in der Rathausarchitektur der Nachkriegs-Ära.

Die Tribünen mit ihren ebenfalls mit gelbem  Kunststoff bespannten Brüstungen bieten 112 Besuchern Platz. Bis Anfang der 70er Jahre saßen dort oben auch die Pressevertreter. Bald nach Amtsantritt von Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg erhielten sie unmittelbar Zutritt zum Plenum – ein weiterer Schritt auf dem Weg zur demokratischen Transparenz der kommunalpolitischen Entscheidungsprozesse.

Edelstahltüren zeigen als Motive die Stadtsymbole Löwe und Kleeblatt

Eine Wand aus geriffeltem Mattglas in leichten Stahlprofilen nimmt die gesamte Südfront des Saales ein und verbirgt auf der Innenseite die schweren Sandstein-Maßwerke der historischen Gebäudefenster. Mit ihrer Leichtigkeit und dem gefilterten Licht bringt diese Vorhangwand einen Hauch japanischer Raumkultur in den Rathausbau. In ihrer Mitte überspannt ein Wandteppich mit Stadtwappen und Kleeblättern die Plätze von Oberbürgermeister und Bürgermeistern. In der Südostecke hängen fast raumhoch die Fahnen der Bundesrepublik Deutschland, des Landes Niedersachsen, der Stadt Hannover und seit Neuestem auch die der europäischen Union.

Die drei Festsaalportale mit ihren Umfassungen aus rotem Marmor sind erhalten geblieben. Aber nur noch das äußerste rechte wird als Zugang zum Ratssaal  regelmäßig genutzt. Neu eingesetzte Edelstahltüren zeigen als Motive die Stadtsymbole Löwe und Kleeblatt. Alle Details einschließlich der modellierten Griffe wurden von Architekten und Künstlern eigens für das Rathaus entworfen. Zuhörer erreichen die Tribünen heute über eine Tür im zweiten Obergeschoss.

Angehörige von Rat und Verwaltung betreten durch das rechte Portal zunächst einen Garderobenvorraum und das Foyer. In der Edelmetallhaut der Flügeltür zum Ratssaal tummeln sich spielerisch die vom Joch der Diktatur befreiten Menschen. Mit seinen quarzgrauen Schalenlampen, der Kaffeetheke, dem roten, abstrakt gemusterten  Teppich in roten Farben und der gläsernen Zwischentür hat sich das Foyer weitgehend im Originalzustand erhalten.

Der Gobelinsaal

Gobelinsaal

Im Gobelinsaal nebenan, dem ehemaligen Blauen Saal,  tagen unter einer Decke aus runden Akustikelementen, verspielten Kronleuchtern aus geschliffenen Glaskugeln und einem abstrakten Gobelin von Georg Meistermann regelmäßig Ratsausschüsse. Gobelins mit dem Wappen der polnischen Partnerstadt Poznan (Posen) und aus der Partnerstadt Hiroshima  sind später hinzugefügt worden.  Durch eine Zieharmonikawand kann ein kleines Sitzungszimmer abgeteilt werden (heute wegen seiner Holzvertäfelung Kirschbaumzimmer genannt). Das gesamte Raumensemble aus Ratssaal, Foyer und Gobelinsaal steht inzwischen als herausragendes Beispiel für eine stilistisch geschlossene Saalarchitektur der 50er Jahre zu Recht selbst schon unter Denkmalschutz.

Im Ratssaal sind im Lauf der Jahrzehnte ausschließlich technische Verbesserungen vorgenommen worden. Er bekam eine neue Lautsprecheranlage und zu Beginn des neuen Jahrtausends an jedem Sitzplatz Internet-Anschlüsse. Die Ratsherren und –frauen können sich nun die Sitzungsvorlagen per Laptop "downloaden". Was übrigens auch jeder Bürger bei sich zu Hause über das Portal www.hannover.de tun kann – sofern es sich nicht um Unterlagen handelt, die wie zum Beispiel Grundstücksgeschäfte  als vertraulich gesperrt sind. Wenn das keine Transparenz ist...

Der Mosaiksaal

Mosaiksaal

Ebenfalls für Ausschusssitzungen benutzt wird der links direkt an den Ratssaal angrenzende Mosaiksaal. Der frühere Grüne Saal mit dem anschließenden kleinen Damenzimmer hat die Kriegszerstörungen von den Sälen der Rathaus-Südseite am besten überstanden. Er  beeindruckt noch heute mit einem übermannshohen dreigeteilten Mosaik von Julius Diez an seiner Nordwand. Ein festlicher Handwerkerzug zieht unter hohen Rundbögen vorüber. Der goldene Sockel trägt die Inschrift: "Handwerk hat goldenen Boden". Die Wände sind überwiegend mit grauem Marmor verkleidet. In dieser Umgebung fand 1946 das Festbankett zur Landtagseröffnung statt. Lebensmittelmarken waren mitzubringen und abzugeben.

Um die Akustik zu verbessern, sind schalldämmende Deckenelemente eingezogen worden, die allerdings das historische Gesamtbild beeinträchtigten. Ein Teil des früher üppigen Zierrats wurde 1958 entfernt, unterhalb des Mosaiks eine aufklappbare Plantafel hinzugefügt. Bei der jüngsten Rathausrenovierung sind die bis dahin beigen  abgehängten Deckenelemente der Nierentischära gekürzt und in zurückhaltendem Grau gestrichen worden. Das hat der Atmosphäre des im Kern ja historischen Saales gut getan.

Das Damenzimmer gehört zu den Repräsentationsräumen im Rathaus, die den Krieg ganz und gar unzerstört überstanden haben. Hier sollten sich die Damen der feinen Gesellschaft zum Plausch zurückziehen, während die Herren bei Cognac und Zigarre unter sich blieben.

Erhalten sind unter anderem die blau bezogene Polsterbank und darüber das Gemälde "Musikalische Huldigung an den Frühling" von A.  Hengeler. Mit der Umgestaltung zu einem Sitzungszimmer Anfang der 50er Jahre wurde aber auch die Ausstattung des Damenzimmers vereinfacht. So verschwand die von Halmhuber entworfene Deckenhängelampe im Zentrum des Sterngewölbes. Auch Teile der reichen Stuckelemente an den Wänden wurden als vermeintlich altmodische Staubfänger abgeschlagen.

Rückblende: Die Festsäle

Feierliches Gepränge, Repräsentation, Zeremonie: Das alles war von zentraler Bedeutung für das Bürgertum im zweiten deutschen Kaiserreich. an Prachtentfaltung wollten die Erbauer des Rathauses dem Adel um Nichts nachstehen. Deshalb gehörten Festsäle ins Zentrum des wilhelminischen Kommunalpalastes. Und deshalb führt ja auch die große Festtreppe in der Kuppelhalle nicht zu den seitlich angeordneten Sitzungsräumen, sondern konsequenterweise zu den "Rittersälen" des Stadtbürgertums auf der Sonnenseite des Neuen Rathauses.

Zerstörter Festsaal nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Große Festsaal
In der Mitte (etwa im Bereich des heutigen Ratssaals) erstreckte sich unter einem mit Kassettendecken und vergoldeten Kronleuchtern ausgeschmückten Tonnengewölbe der Große Festsaal, 32 Meter lang, bis zum Kuppelscheitel 15 Meter hoch und 15 Meter breit. Halmhuber hatte ihn  auf das Prächtigste ausgestattet: In acht breite Pfeiler aus Kirchheimer Marmor waren monumentale Flachreliefs in doppelter Lebensgröße eingearbeitet – die „Bürgertugenden“ von Bildhauer Georg Hertling. Drei Wandgemälde von Fritz Erler stellten in kräftigen Farben  eine altgermanische Siedlung, die Zerstörung einer mittelalterlichen Zwingburg (Lauenrode?), das dritte Bautätigkeit und Verkehr in einer modernen Großstadt dar. Die großformatigen Bilder waren in reinen kräftigen Farben gemalt und verblüfften aus heutiger Sicht durch eine eigenartige Mischung aus Rittersaal-Romantik und Elementen des Jugendstils. Täfelungen, rot poliertes Holz, teilweise vergoldeter Stuck und dekorative allegorische Schmuckelemente ergänzten die luxuriöse Ausstattung.

Die Saalarchitektur war nur teilweise zerstört, als ab 1956/57 die Vorbereitungen für den Umbau zum Ratssaal begannen. Doch nur vier kleinere Flachreliefs des Hertlingschen Wandschmucks wurden gerettet und an die nördliche Ratssaal-Außenwand am Kuppelumgang versetzt. Die größeren Platten wurden zerschlagen, "um die Kosten für Abtransport und Lagerung zu sparen", wie zeitgenössische Chroniken berichten.

Die Wandgemälde von Erler waren im Krieg 1944 gerade noch rechtzeitig vor den Bombentreffern abgenommen, zusammengerollt und eingelagert worden. Und so lagern sie noch heute in den Depots des Historischen Museums. Sie entgingen der Zerstörung, aber niemand weiß bis heute etwas mit ihnen anzufangen. Was sonst noch übrig war vom Original-Dekor des Saales  ist ein Opfer des schon zitierten Zeitgeistes geworden.

Der Blaue Saal

Der einstige Blaue Saal

Was wäre wenn? Was wäre gewesen, wenn die Baukunst des ausgehenden Wilhelminismus mit seinen historischen Rückgriffen bei der Nachkriegsgeneration nicht so gründlich in Misskredit geraten wäre? Vielleicht wäre wenigstens  der ehemalige Blaue (oder Tristansaal) mit seiner Musikempore der Nachwelt erhalten geblieben. Bauhistoriker beschreiben ihn als den romantischsten aller Rathaussäle. Das Wanddekor war Motiven der Tristansage entlehnt. Die Holzvertäfelung war blau gestrichen. Von der flachen Stuckdecke leuchteten sternförmig verteilte Glühlampen. An der Stirnseite zum Großen Festsaal erschien Tristans Schiff als stilisiertes Schmuckelement.

Der Raum war bis auf die 1915 eingefügten farbigen Fensterverglasungen mit den Wappen der 51 Städte der Provinz Hannover zwar getroffen, aber im Kern heil geblieben. Aufnahmen aus den frühen 50er Jahren beweisen das. Der Raum war sogar viele Jahre lang als provisorische Rathauskantine genutzt worden.  Vor der Ausschlachtung bewahrte ihn das nicht. Der heutige Gobelinsaal hat zweifellos seinen eigenen noblen Stil. Trotzdem  würde die Urenkel-Generation heute mit dem historischen Erbe anders umgehen (siehe Gartensaal). So erinnern heute nur der frühere Grüne Saal (heute Mosaiksaal) und das Damenzimmer im Ostflügel ein wenig an  den Glanz der  einstigen Festsaalflucht.

Zeitläufte

Als das Rathaus am 20. Juni 1913 in Gegenwart von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht wurde, läuteten die Kirchenglocken. Die Stadt war beflaggt, die Garde angetreten. Am 21. Juni begingen die geladenen Gäste das feierliche Ereignis in den Festsälen mit einem üppigen Festmahl aus Steinbutt, Rehrücken, Hummer, Masthahn und "Eisspeise nach Ratsherren Art".

Danach sind die repräsentativen Räume nur noch höchst selten Schauplatz feierlicher Anlässe geworden. Schuld war die Zeitenwende. Erster Weltkrieg, die anschließenden Wirren der Revolution, die Inflation und die wilhelminischem Pomp abgeneigte Weimarer Republik machten die Festsäle zu einem Anachronismus.

Als Versammlungsräume wegen der Kriegszerstörungen in Hannover immer rarer wurden, nutzten die Nationalsozialisten den noch unzerstörten Festaal wiederholt für Veranstaltungen. Überliefert sind zum Beispiel Fotos und Berichte von einer Medaillenverleihung der SA. Antreten und durchhalten  hieß die Parole beim Appell nach den verheerenden Großangriffen im Oktober 1943 mit 600 Teilnehmern unter der Hakenkreuzfahne.

Der Rat zieht ein

Schnitt. Am 9. Dezember 1959 um 18.08 Uhr eröffnete der damalige Oberbürgermeister August Holweg, zur Feier des Tages angetan mit der goldenen Amtskette, die erste Ratsversammlung im neuen Ratssaal mit den schlichten Worten: "Von heute an werden unsere Sitzungen in diesem schönen Raum stattfinden. Die Räume atmen den Geist unserer Zeit."

Im Rat der Stadt hatte die SPD zu jener Zeit (wie seit der ersten Kommunalwahl 1946) die absolute Mehrheit der Sitze. Das blieb so, bis 1981 die Grünen (zunächst in Form der Grün-Alternativen Bürgerliste, GABL) die Parteienlandschaft aufmischten. Danach mussten sich die Sozialdemokraten für die Mehrheitsbildung Bündnispartner suchen. Mit Ausnahme der Ratsperiode 1981 bis 1986 kam es meist zu rot-grünen Koalitionsbildungen.

 


Texte mit freundlicher Genehmigung von Michael Krische.