"Als Kinder sind wir in die Eiskeller der Brauerei am Lindener Berg gestiegen. Was natürlich streng verboten und gefährlich war", verrät Kommissar Fernando Rodrigez seiner Kollegin Jule Wedekin in dem Kriminalroman "Tod an der Leine" von Susanne Mischke.
Was er verschweigt: in den mysteriösen Eiskellern unter dem Lindener Berg lagerte nicht nur frisch gebrautes heimisches Bier, im Zweiten Weltkrieg boten sie mehreren Tausend Menschen auch Schutz vor den Luftangriffen auf Hannover und zuletzt wurden die unterirdischen Kammern sogar zur Aufzucht von Champignons genutzt.
Lindens größter Kühlschrank
Zu den genau genommen drei Eiskellern in der Tiefe des Lindener Berges geht’s erst einmal bergauf, die ruhige Straße entlang der Kleingärten bis zum idyllischen Bergfriedhof. Am Seitenausgang des Friedhofs befindet sich das Haus Am Steinbruch 11, von dort geht es dann hinab in den alten Stollen mit den Eiskellern. Sie verdanken ihren Namen einer örtlichen Bierbrauerei, die das Gewölbe unter der Erde bis in die 1930er Jahre praktisch als natürlichen Kühlschrank benutzte: mit dem Eis, das im Winter aus den Maschwiesen an der Ihme herangekarrt und in Strohballen gewickelt wurde, konnten die von Brauereipferden angelieferten Bierfässer bis zum Ausschank im Sommer kühl gelagert werden.
Die 1852 gegründete Brauerei Brande & Meyer (1871 in Lindener Aktien-Brauerei umbenannt, 1968 dann als Lindener Gilde Bräu AG weiter geführt und seit 1988 Gilde Brauerei AG) war damals bekannt und beliebt für ihr untergäriges Lagerbier nach Bayerischer Brauart. Mehr über den Lindener Traditionsbetrieb dokumentiert Andreas-Andrew Bornemann in seinem Postkarten-Archiv im Internet: "Die in der Nähe des Güterbahnhofs Küchengarten (Blumenauer Straße 15-17., in Linden-Mitte) gelegenen Brauereiräume umfassten die Kessel, die Dampfmaschinen und das Sudhaus, sowie alle weiteren Betriebsstätten. Getrennt von den Brauanlagen befanden sich drei Felsenkeller (Eiskeller) am Lindener Berg. Die Keller sind heute noch vorhanden. Der Braubetrieb am Küchengarten in Linden-Mitte wurde 1997 eingestellt. Danach verlagerte die Gilde Brauerei AG die Produktion des Lindener Spezial auf ihr Stammhaus an der Hildesheimer Straße 73. Nachdem Sudkessel und Reste der Brauerei verkauft waren, wurden im August 2000 die Gebäude auf dem Gelände in der Blumenauer Straße abgerissen."
Der Lindener Berg hat’s in sich
Gerade einmal 89 Meter erhebt sich der Lindener Berg über Hannover und ist damit der höchste Punkt der Stadt. Der Kalkstein aus seinem Inneren wurde im Mittelalter als Baumaterial für Häuser, Wachtürme und auch für die Stadtmauer genutzt. Mehr noch: "In Kriegszeiten war der Lindener Berg ein strategisch wichtiger Standort. Von hier hatte man einen guten Blick auf Hannover und konnte den westlichen Zugang der Stadt (die Ihmebrücke am Schwarzen Bären) kontrollieren. Mehrfach suchten feindliche Truppen den Lindener Berg auf, so auch im Dreißigjährigen Krieg. [...]1746 gab der hannoversche Rat wegen Unwirtschaftlichkeit die Steinbrüche auf, während Privatleute weiterhin Kalksteinabbau betrieben", schreibt der Journalist Thorsten Bachmann 2013 in seinem Buch "Linden – Streifzüge durch die Geschichte".
Vom Pils zu Pilzen
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich wurde einer der Stollen im Lindener Berg von der benachbarten Brauerei Brande & Meyer genutzt, um dort die besagten drei rund 50 Meter langen Eiskeller einzurichten und das eigene Bier kühl zu lagern. Ab 1934 bis zum Jahr 2000 dienten die ehemaligen Eiskeller dann der Aufzucht von Champignons, während des Zweiten Weltkriegs boten die unterirdischen Gänge und Räume im Lindener Berg sogar Schutz vor den Luftangriffen auf Hannover. Heute befinden sich die Eiskeller im Privatbesitz und können im Rahmen der MixTour-Stadtteilrundgänge des Vereins Quartier e.V. besichtigt werden.