1912 nahm Fritz Ahrberg seine Wurstfabrik am Deisterkreisel im hannoverschen Stadtteil Linden-Süd in Betrieb. 1992 musste er sie wieder schließen.
Zehn Jahre später ist aus dem ehemaligen Werksgelände ein neuer urbaner Lebensraum geworden mit Bürolofts und Wohnungen, Gewerberäumen und Gastronomie, Kunstatelier und Freizeitangeboten. Das einst industriell geprägte AhrbergViertel ist heute ein modernes Wohn- und Arbeitsquartier und zugleich das kulturelle Zentrum der spanischstämmigen Bewohner in Hannover.
Arbeitstische aus weißem Marmor und Fußböden aus glattem Terrazzo
Seine erste Fleischerei eröffnete Fritz Ahrberg 1896 in der Deisterstraße, nur einen Steinwurf entfernt vom heutigen AhrbergViertel. Von Beginn an stand der Name Ahrberg für beste Qualität, die Geschäfte liefen glänzend, der erfolgreiche Unternehmer dachte schon bald über Expansion nach. "Ab 1912 entstand die laut Eigenwerbung 'bedeutendste Wurst-, Aufschnittwaren- und Fleischkonservenfabrik Deutschlands' zwischen Deisterkreisel, Charlotten- und Haspelmathstraße nach Entwürfen des Bauingenieurs Paul Muschiol. Besonderes Interesse weckten die umfangreichen Dampfkochanlagen, die von der Firma Voß aus Hannover stammten. In den Fabrikhallen konnten jährlich 50.000 bis 60.000 Schweine verarbeitet werden. Geschlachtet wurde auf dem Gelände nicht. Bei der Ausstattung seiner Firma hatte Fritz Ahrberg nicht gespart. Die Wände der Arbeitsräume waren komplett mit weißen Fliesen verkleidet, die Arbeitstische aus weißem Marmor und die Fußböden waren aus glattem Terrazzo. [...] Von 1914 bis 1924 wurde die Fabrik ständig erweitert. 1918 entstand das Kesselhaus und in den 30er Jahren kaufte Ahrberg auch die alte Bettfedernfabrik dazu, die sich in der Mitte des heutigen Geländes befindet. [...] Auf dem Höhepunkt der Firmengeschichte waren mehr als 1.200 Arbeiterinnen und Arbeiter in der Fabrik und in den Filialen beschäftigt." (Auszug aus der Geschichte des AhrbergViertel unter www.ahrbergviertel.de).
Zu Beginn der 1990er Jahre wendete sich das Blatt, die Menschen aßen weniger Fleisch und Wurst, das Traditionsunternehmen geriet in die roten Zahlen und wurde 1992 schließlich an die Illinger Hans Höll AG verkauft. Kurz darauf zogen die neuen Inhaber aus Kostengründen mit ihrem Unternehmen aus der Stadt aufs Land bei Pattensen südlich von Hannover. In den darauf folgenden Jahren blieb die ehemalige Ahrberg-Wurstfabrik ungenutzt und wurde erst 1997 an eine Käufergemeinschaft aus Arbeiterwohlfahrt und dem hannoverschen Architektur- und Planungsbüro agsta für 8 Millionen Deutsche Mark verkauft, die das rund 2 Hektar große Gelände unter weitgehender Erhaltung der fast 100 Jahre alten Gebäude sanieren und revitalisieren wollte.
Aus der Wurstfabrik wird das AhrbergViertel
In den Jahren 1998 bis 2000 verwandelte sich das Gelände der früheren Wurstfabrik von Fritz Ahrberg von einer historischen Industrieanlage zu einem attraktiven Wohn-, Gewerbe- und Büroquartier – das neue AhrbergViertel. Die ursprünglichen Hauptgebäude blieben erhalten, einige Nebengebäude wurden abgerissen, moderne und verschachtelt miteinander verbundene Wohnhäuser, Büros und Geschäftsräume sowie verwinkelte Passagen und offene Plätze sind neu hinzugekommen. Auch das 1918 aus roten Backsteinen erbaute Kesselhaus der Wurstfabrik steht noch, gehört heute aber nicht mehr zum neuen AhrbergViertel.
"Ziel war es, den architektonischen Charakter der Substanz mit der Neuplanung in Einklang zu bringen. Soweit möglich und aus energetischer Sicht vertretbar, wurden Fassaden erhalten bzw. restauriert, besondere Merkmale der Gebäude wurden bei der Modernisierung wieder herausgearbeitet. [...] Die Höfe und Gründächer des AhrbergViertels sind aus der Revitalisierung einer Gewerbebrache entstanden. Für Kinder, Bewohner und Nutzer musste die Gestaltung des Freiraumangebotes aus einem nahezu vollversiegelten bzw. brachliegenden Bestand heraus entwickelt werden. Es entstanden Gründächer mit resistenter Bepflanzung, Holzdeck und Kies sowie ein 'Garten für Kinder' im Ahorn-Wald. Mediterrane Gestaltung, Pflasterbänder, Steinterrassen und große Terracotta-Töpfe prägen das Bild im Zentrum." (Quelle: Architektenkammer Niedersachsen).
Geselliges Miteinander und spanische Lebensfreude
Über zwei Dutzend Firmen und soziale Einrichtungen haben sich mittlerweile im AhrbergViertel angesiedelt – wie etwa das "Hotel im AhrbergViertel", das spanische Restaurant "Rias Baixas II", der Kinderladen "Die Strolche", das "Studio für Tanz und Bewegung Compagnie Fredeweß", das "Atelier Lineart" und der "Interkulturelle Sozialdienst". Ganz nebenbei hat sich das AhrbergViertel auch zu einem Zentrum der spanischen Kultur in Hannover entwickelt.
"Lindens Süden ist dafür bekannt, das spanischste Viertel Hannovers zu sein", schreibt die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) in einem Artikel vom 3.12.2014. "Die Dichte an spanischen Restaurants ist vermutlich auch im landesweiten Vergleich durchaus beachtlich. Schließlich begann die Geschichte der Spanier in Linden bereits Anfang der sechziger Jahre. Gastarbeiter aus der nordwestspanischen Gegend Galicien waren die ersten ausländischen Arbeiter, die nach Hannover zogen. Die Hanomag unterhielt damals ein eigenes Anwerbebüro in Galicien. Und heute befindet sich der galicische Kulturverein Centro Galego am Plaza de Rosalia, dem zentralen Platz im Ahrbergviertel." Einmal im Jahr wird die deutsch-spanische Nachbarschaft im Quartier beim sommerlichen Ahrbergfest ganz besonders gefeiert.