Früher diente das Schützenwesen dem Schutz, heute dem Vergnügen der Menschen in und um Hannover. Doch was geschah dazwischen und was für Attraktionen zog die Menschen vor 100 Jahren auf den Schützenplatz? Ein Blick in die Geschichte des größten Schützenfestes der Welt.
"Als wir an einem Sonnabendvormittag mit einer Cessna die 'Zeltstadt aus der Spielzeugkiste' auf dem Schützenplatz überflogen, kamen wir uns vor wie Gulliver. Aus luftiger Höhe sahen wir ein buntes Ameisenheer durch Hannovers Innenstadt ziehen. Das Tätärä und Tschingbum war natürlich nicht zu hören, das Brummen unserer braven Luftkutsche vereitelte den akustischen Genuß des Ausmarsches und des hannoverschen Schützenfestes. Aber das quirlige Filigran des Schützenplatzes, der Stern der Festzelte rund um das Pappel-Rondell, das Spinnennetz der Achterbahnen, die Roulette-Scheiben der Karussells und der glitzernde Reif des Riesenrades nahmen uns auch ohne musikalisches Beiwerk gefangen … " In diesem Artikel vom 9. Juli 1969 in der "Hannoverschen Presse" wird der besondere Reiz und das zauberhafte Flair des "größten Schützenfestes der Welt" auf dem Schützenplatz der Landeshauptstadt Hannover völlig zutreffend geschildert und auch 50 Jahre später – mittlerweile wird dieses Jahr die 490. Ausgabe des hannoverschen Volksfestes gefeiert – haben das Schützenfest und der Schützenplatz nichts von dieser großartigen Atmosphäre verloren.
Erst waren die Schützen, dann das Fest
In früheren Zeiten diente das Schützenwesen in erste Linie dazu, die Stadt vor Übergriffen durch Fürsten und Landesherren zu schützen, die die Rechte der Stadt beschneiden wollten. Hierzu wurde Hannover in vier Wehrbezirke eingeteilt, und auch heute noch schlägt sich dieses in den vier Zügen des Schützenausmarsches mit den vier Bruchmeistern nieder. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich parallel zu den Jahreswettbewerben der Schütz*innen ein Volksfest mit Vogelschießen, Tanz und Biergenuss in Festzelten und mit Volksbelustigungen durch Gaukler*innen, Karussells und Russenräder. Das jährliche Fest wurde immer bedeutungsvoller und auf einem im Süden der Stadt gelegenen Exerzierplatz veranstaltet, aus dem später der ungefähr zehn Hektar große Schützenplatz mit dem Pappel-Rondell in der Mitte entstanden ist.
Die Vorläufer der Achterbahn
Um die Jahrhundertwende dominierten auf dem Schützenplatz Pferdekarussells, Russenräder, Krinolinen, Schiffschaukeln und Kettenkarussells. Durch den Karussellkönig Hugo Haase, der ab 1909 einen zusätzlichen Firmensitz in Hannover gegründet hatte, kamen auch sensationelle Großgeschäfte zum Schützenfest, so der Karussellpalast mit der Stufenbahn von 1902, die neobarocke Berg- und Talbahn, die "elektrische Berg & Thal Bahn", der "Zeppelin-Weltflug" und auch einige seiner diversen Achterbahnen. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten dann neben vielen anderen die Acht-Bahn, der Sputnik, Schiffschaukel, großer Kettenflieger und die legendäre "Berni's Bobbahn" für Furore auf dem Schützenplatz.
Evolution der Fahrgeschäfte
Ab den frühen Sechzigerjahren war ein deutlicher Umschwung auf deutschen Volksfesten erkennbar: Die Karussells wurden moderner und vielfach nach den neuesten Tänzen benannt – "Swing-O-Plane", "Bossa Nova", "Twister" und "Liebeskutsche" sind heute noch bei älteren Hannoveraner*innen ein Begriff. Achterbahnen wurden nun aus Stahlrohr gebaut und verdrängten das Holz, Riesenräder wuchsen in die Höhe und die Karussellfahrten wurden immer flotter. Ein Pionier des Schaustellergewerbes war Walter Rick aus Hannover, der in den Dreißigerjahren mit einem Irrgarten begann und sich 1935 eine "Teufelskutsche" und eine "Wilde Maus" bauen ließ. Es kamen weitere Geschäfte hinzu, die teilweise von ihm mitentwickelt wurden, so 1968 der "Jet-Star" und 1972 die Großachterbahn "Jumbo-Jet".
Weltpremieren in Hannover
Der Schützenplatz in Hannover wurde immer wieder genutzt, um mit großen und sensationellen Fahrgeschäften Premiere zu feiern. Im Juli 1969 startete der "Zeppelin I" auf dem Schützenplatz zum Jungfernflug und die Presse berichtete über die Einmaligkeit dieses 28 Meter hohen Geschäftes. 1970 ging dann auf dem Schützenplatz der "schnellste Zug der Welt", der "Tokaido-Express" an den Start – und auch das Nachfolgemodell "Hitachi-Express 2" feierte 1972 in Hannover seine Premiere. Ein gigantisches Fahrgeschäft wurde am 2. Juli 1971 in Hannover in Betrieb genommen: "Apollo 14" war mit 17 Eisenbahnwaggons in unsere Stadt transportiert worden und man stand staunend vor der Mondkugel mit 18 Meter Durchmesser und sah fasziniert dem Flug der Apollo-Kapseln zu.
Belastungsprobe mit Bierfässern
Die nächste sensationelle Weltpremiere war 1980 auf dem Schützenfest zu erleben: Das über 60 Meter hohe, größte transportable Riesenrad ging nach einem spannenden Countdown erst gegen Mitternacht ans Netz, denn einige elektronische Bauteile wurden verspätet angeliefert. In der hannoverschen Presse wurde von der Weltpremiere der 380 Tonnen schweren Anlage, der TÜV-Abnahme und der Belastungsprobe mit 336 Fässern Bier in den 42 Gondeln berichtet. Als Ehrengast drehte auch Oberbürgermeister Schmalstieg eine Premierenrunde. Vier Jahre später, im Juli 1984 waren wieder zahlreiche Waggons nach Hannover gerollt: Der "Dreier Looping" wurde erstmalig aufgebaut und feierte in Hannover seine Weltpremiere. Und auch von dieser neuen Looping-Bahn mit der einmaligen und rasanten Sturzabfahrt war das Volksfestpublikum begeistert.
Zurück in der Gegenwart
Nun sind wir im Jahr 2019 angekommen, das 490. Schützenfest steht kurz bevor. Die Neuheiten und Highlights der Jetztzeit haben moderne und rasante Namen, aber noch immer ist ein zentraler Punkt des Festplatzes natürlich das hohe Riesenrad "Roue Parisienne", das durch seine herrliche Dekoration an das Paris der Jahrhundertwende erinnert. Und so hofft der Verein Hannoversches Schützenfest e.V. mit Maskottchen "Kalle" auf herrliches Schützenfestwetter und wünscht allen Schützen, Besuchern und Gästen aus Nah und Fern viel Spaß und Vergnügen beim Schützenfest auf dem Schützenplatz in Hannover.