19. - 20. Juli 2024

Erwutigen! Wie Wut Frauen* stärkt

Rückblick auf einen erwutigenden Workshop

Erwutigen!

In unserer Gesellschaft wird Wut oft unterdrückt, insbesondere die Wut von Frauen*. Wenn weiblich gelesene Personen doch einmal Wut zeigen, gelten sie schnell als hysterisch oder sensibel. Zahlreiche Ratgeberliteratur verspricht dabei zu helfen, dieses „negative“ Gefühl zu kontrollieren und „in den Griff zu bekommen“. Doch was passiert mit unterdrückter Wut? Und ist sie nur negativ?

Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Teilnehmenden des Workshops „Erwutigen! Wie Wut Frauen* stärkt“ am 19.07. und 20.07.2024 im Stadtteilzentrum Lister Turm. Unter der Leitung von Shirin Kühn (STZ Lister Turm) und Kassandra Speltri (Kargah e.V.) setzen sich die Teilnehmenden mit Unterdrückungsmechanismen auseinander und erforschten ihre eigene Wut.

 

Selbstreflektion: Wie empfinde Wut?

 

Zunächst war der Workshopraum ganz ruhig und konzentriert, als die Teilnehmenden in einer Selbstreflektion aufschrieben, wie sie ihre Wut bisher wahrgenommen und gezeigt haben. Während einige Wut nur als lautes Schreien kennengelernt haben, berichteten andere zögerlich, dass sie Wut eigentlich nie bei sich spüren würden. Die Fotografin Mira Obermeit ermutigte die Teilnehmenden, ihren ganz eigenen Ausdruck von Wut zu finden und hielt diesen fotografisch fest. In den entstandenen Bildern ist die Vielfalt im Erleben und Ausdruck von Wut eindrücklich zu erkennen: Geballte Fäuste, ein zum Schreien geöffneter Mund, aber auch ein eher traurig wirkender Blick nach unten und ein abwehrend aufgespannter Regenschirm sind darauf zu sehen.

 

 

Psychologisch betrachtet sind Gefühle erstmal neutral und beliefern uns mit Informationen. Wut ist dabei eine wichtige Ressource zum Selbstschutz und zur Abgrenzung, denn sie zeigt uns Grenzüberschreitung, Missachtung und Verletzung auf. Die eigene Wut zum Ausdruck zu bringen, kann also eine wichtige Ressource sein und Veränderung bewirken.

 

Doch wie wird weiblicher Wut begegnet?

Auf einer Leinwand sammelten die Teilnehmenden Dinge, die ihnen erwidert wurden, wenn sie ihre Wut zeigten: Beleidigungen, Abwertung, Desinteresse. „Es ging gar nicht mehr um das, was mich wütend gemacht hatte. Es wurde nur darauf geachtet, wie ich es sagte: Zu laut“ berichtete eine Teilnehmerin. In einem sehr offenen, vertrauensvollen Austausch stellten die Teilnehmenden fest, dass ihre Erfahrungen mit Wut zwar unterschiedlich sind, die Mechanismen mit denen ihr begegnet wird jedoch oft ähnlich. So wurde vom Gegenüber auf die Lautstärke, den Tonfall oder das Aussehen („Du bist so hässlich, wenn du wütend bist“) der wütenden Person geachtet und dies kritisiert, statt über den eigentlichen Grund der Wut zu sprechen. Um der Wut über diese Ungerechtigkeit solidarisch Ausdruck zu verleihen, bewarfen alle die Leinwand mit Farbbomben.

 

Hier zeigte sich eine wesentliche Erkenntnis des Workshops:
Durch gemeinsamen Austausch und solidarische Aktion, kann mit Wut etwas neues, schönes Entstehen.


Doch um Wut auszudrücken, muss das Gefühl zunächst als solches erkannt werden. Wurde Wut lange unterdrückt, kann das sehr schwer fallen. „Der eigenen Wut zuhören“ war deshalb das Motto einer weiteren Übung. Jede Teilnehmerin stellte mit einer Auswahl an Instrumenten wie Trommeln, Triangel und Kalimba dar, wie sich ihre Wut anhört. Das Ergebnis reichte von laut bis leise, über raschelnd, brodelnd bis zu klappernd. Sich Raum nehmen und Wut eine Stimme zu verleihen, konnte durch gemeinsames Schreien auch einmal in vollem Umfang erlebt werden. Die bestärkende, energetische Stimmung war noch lange danach zu spüren. 

 

Ziel des Workshops war es jedoch nicht, Wut fortan schreiend und impulsiv bei jeder Gelegenheit herauszulassen. Sondern vielmehr die eigene Wut anzunehmen, sie kennenzulernen und als wichtige Kraftquelle zu begreifen, wenn uns Ungerechtigkeit begegnet

 

„Frauen erleben ihren Zorn oft ganz für sich allein, rein innerlich, oder leiten ihn in andere Gefühle um. Und es ist leicht, sich isoliert zu fühlen, wenn man als Einzige die Stimme erhebt – zu Hause, in der Schule oder am Arbeitsplatz zum Beispiel. Aber wir dürfen niemals vergessen, dass wir in Wahrheit mit dieser Wut nie allein sind“ (Soraya Chemaly, Speak out, S.295).

 


 

Der Workshop fand im Rahmen des Projektes „From Anger To Activism“ statt und ist gemeinsam von kargah e. V. mit den Stadtteilzentren aus Linden, Mühlenberg, Ricklingen und Vahrenwald organisiert. Das Wutkonzert, das Actionpainting und weitere Ergebnisse der Workshops aus der Veranstaltungsreihe „Erwutigen!“, können ab Herbst 2024 bis voraussichtlich Frühling 2025 in einer Wander-Ausstellung bestaunt werden. Die Ausstellung wird in allen kooperierenden Stadtteilzentren gezeigt. Die genauen Ausstellungszeiträume werden zeitnah bekannt gegeben.


Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für ihre Offenheit, ihren Mut und vor allem ihre Wut!

 

*Alle, die sich als weiblich identifizieren.