Zur Eröffnung des Veranstaltungsprogramm "Hier und Jetzt. Kulturangebote für Menschen mit Demenz und ihre Begleitpersonen" diskutierten am 4. September 2019 vier Gäste auf dem Podium über kulturelle Teilhabe im Alter.
Moderiert durch Jasmin Kohler von Radio Hannover ging es um die Frage, wie Kultur und kulturelle Teilhabe auch für Menschen mit Demenz ermöglicht werden kann und welche Besonderheiten zu berücksichtigen sind.
Die Umsetzung des Themas Kulturelle Teilhabe im Alter sei ein Prozess, erläuterte direkt zu Beginn Almuth Fricke (kubia). Es werde erst langsam, mit Sichtbarwerdung des demografischen Wandels, aktuell. Die Altersbilder änderten sich, bei den Menschen und in den Medien. Zugleich werde die Politik altenfreundlicher. Einen ähnlichen langen Prozess durchlief die kulturelle Kinder– und Jugendbildung vor 15 Jahren, bevor sie selbstverständlicher Bestandteil der Kulturarbeit wurde. Obgleich die Zielsetzung in beiden Feldern ähnlich sei - es geht um Sinn und Spaß, Selbstwirk-samkeit und das Erlernen neuer Fähigkeiten - müsse doch die Didaktik für die älteren Menschen anders, unter Umständen anspruchsvoller gestaltet werden.
Dass Kulturangebote für Senior*innen anders gedacht werden müssen, unterstrich auch Christoph Gimmler (KSH). Neben der Versorgung seien soziale Teilhabe aber auch Vereinsamung ein großes Thema bei den über 60-jährigen. Dem wird durch die (Zusammen-)Arbeit im Stadtteil, u.a. von KSH und Stadtteilkultur, entgegengewirkt. Gerade Menschen mit Demenz leben oftmals im Verborgenen, verfügen aber auch über Fähigkeiten und Talente, die sie einbringen können und wollen. Eine Teilhabe an Kunst und Kultur erfordere, so Alexandra Huth (Alzheimer Gesellschaft), unter Umständen einen angepassten, langsameren Rahmen.
Viel ließe sich dabei über die Sinne und Emotionen erreichen, z.B. über Musik. Diese weckt Erinnerungen und regt Menschen an, unabhängig von der Demenzstufe. Dies konnte bei den Auftritten von Klang und Leben immer wieder beobachtet werden, berichtet Graziano Zampolin. Menschen mit Demenz seien sehr empfindsam, und auch wenn die Erinnerung an ein Projekt fehlt, bleibt doch ein Gefühl zurück.
Dabei gilt es bei der Projektentwicklung auch über den eigenen Schatten zu springen und sich auf die Zielgruppe einzulassen. Es sei wichtig, Spontaneität zuzulassen und die eigenen Bedenken beiseite zu schieben. Sorgen und Ängste sind auch bei Angehörigen weit verbreitet, sie sind oftmals viel besorgter als die Dementen selber, berichtet auch Alexandra Huth und Christoph Gimmler aus ihrer Praxis. Immerhin werden rund 70% der Erkrankten zu Hause gepflegt. Die Beziehung zwischen Betroffenen und Angehörigen ist ein wichtiger Eckpfeiler, deswegen sind gemeinsame schöne Momente, wie beispielsweise ein gemeinsamer kreativer Nachmittag oder eine Museumsführung so wichtig. Sie stärken die Beziehung und richten den Blick auf etwas Positives, sie ermöglichen es gemeinsam zu lachen und sich auf Augenhöhe zu begegnen.
Alles in allem ist noch viel Aufklärungsarbeit zu dem Thema zu leisten, da sind sich alle Podiumsgäste einig. Nicht nur bei den Angehörigen, sondern in der gesamten Öffentlichkeit. Es fehlt an Wissen über die Krankheit und auch über die Möglichkeiten, die sich trotz dessen eröffnen. Almuth Fricke berichtet, dass in NRW auch Kultureinrichtungen fortlaufend zu dem Thema sensibilisiert werden, damit sich die Altersbilder wandeln und Potenziale fokussiert werden können.
Auf dem Podium wurde deutlich vertreten, dass Kunst und Kultur ein Menschenrecht sei und zu Unrecht oft als Sahnehäubchen abgetan werden. Im Stadtteil und auch in Pflegeeinrichtungen müsse eine kulturelle Infrastruktur vorhanden sein. Diese Form der kulturellen Grundversorgung bliebe aber zugleich auch eine politische Fragestellung, solange Kulturarbeit eine freiwillige Leistung der Kommunen ist.
Wichtig sei auch die Vernetzung zwischen verschiedenen Akteur*innen und Einrichtungen, um die Menschen in den Stadtteilen und Senioreneinrichtungen zu erreichen und gemeinsam kulturelle Teilhabe für Alle zu ermöglichen. Netzwerke und Arbeitskreise, wie die schon bestehenden, sind dabei sehr gute Möglichkeiten. Insgesamt sei Hannover auf einem guten Weg. Und unabhängig vom Alter, ob demenziell erkrankt oder nicht, zusammenfassend lässt sich sagen: Kultur muss Genuss mit allen Sinnen sein!
Almuth Fricke - Kulturmanagerin
und Leiterin des Instituts für Bildung und Kultur e.V. in Remscheid, Mitbegründerin von kubia - einem deutschlandweiten einzigartigen Kompetenzzentrum für kulturelle Bildung im Alter und Inklusion.
Christoph Gimmler - Mitarbeiter der Kommunalen Seniorenservice (KSH)
Projektkoordinator der Lokalen Allianz für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen; Mitinitiator verschiedener Kulturprojekte für Menschen mit Demenz, z.B. gemeinsam mit der LAG Rock.
Alexandra Huth - Dipl. Pädagogin
und Mitarbeiterin der Alzheimer Gesellschaft Hannover, neben der Beratung zuständig für Kulturprojekte für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen z.B. farbenfroh und Schwungvoll
Gaziano Zampolin - Krankenpfleger
und Lehrer für Medizinalberufe, Mitinitiator und Demenzcoach des Projekts Klang und Leben, bei dem professionelle Musiker mit dementen Menschen musizieren.