Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es auf dem späteren Siedlungsareal in Ricklingen noch keine Bebauung, stattdessen prägten Wiesen, Felder und Wald das Bild. Zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg entstanden hier „auf der grünen Wiese“ dank der genossenschaftlichen Initiative ab 1901 die Häuser in der Menzelstraße und der Schnabelstraße, die den Beginn der Besiedlung Oberricklingens darstellte.
Zentrale Quelle zur Erforschung zu dieser Baugenossenschaft ist die Veröffentlichung von Elke Oberheide: „Zwei Straßen – eine Geschichte. Schnabel- und Menzelstraße. Die Geschichte der ersten Genossenschaftssiedlung in Hannover-Ricklingen“ – herausgegeben von der Landeshauptstadt Hannover 1990.
Sie stützt sich auf eine Initiative des Freizeitheims Ricklingen, das seit 1988 einen Gesprächskreis organisiert hat, um der Geschichte der beiden Straßen und damit der Entstehung des Stadtteils Oberricklingen nachzugehen. Ricklingen war mit Oberricklingen 1913 nach Linden eingemeindet worden, mit der Eingemeindung Lindens nach Hannover wurde es 1920 ein Stadtteil Hannovers.
Die Ricklinger Baugenossenschaft ist ein typisches Beispiel für den Arbeiterwohnungsbau im frühen 20. Jahrhundert, als die wachsende Industriearbeiterschaft Wohnraum für sich und ihre Familien brauchte.
Der Gemeinnützige Bauverein Ricklingen gründete sich im Jahr 1900. Die meisten Mitglieder verdienten ihren Lebensunterhalt als Arbeiter bei der Hanomag und der Hannoverschen Waggonfabrik/HAWA. Die Straßennamen der „Colonie“ erinnern an diesen Zusammenhang: Die Menzelstraße heißt nach dem Direktor der HAWA Max Menzel (geboren 1858), der den Bauverein durch eine Zahlungsgarantie von 3.000 Mark förderte. Die Schnabelstraße ist benannt nach Ernst Conrad Schnabel (1840 bis 1898), Brauereibesitzer und Ortsvorsteher in Ricklingen, der dem Gemeinnützigen Bauverein das Land für die Siedlung verkaufte.
Dank der genossenschaftlichen Initiative wurden ab 1901 Häuser in den beiden Straßen errichtet. Im ersten Bauabschnitt entstanden 20 Doppelhäuser, denen 1912 vier Häuser folgten, 1913 weitere sieben.
Bis zum Ersten Weltkrieg umfasste die Siedlung insgesamt 76 Doppelhäuser in den beiden parallel verlaufenden Straßen. Die Haushälften wurden als Zweifamilien-Erwerbshäuser vergeben. Sie boten Platz für mehr als 300 Familien.
Die Genossenschaftsmitglieder zahlten 200 Mark für einen Anteil. Sie mussten Arbeiter sein oder dem unteren Beamtenstand angehören. Jedes Mitglied durfte nur ein Gebäude erwerben und darin wohnen, die zweite Wohnung im Haus wurde an ein anderes Genossenschaftsmitglied vermietet.
Im Vergleich zu engen, feuchten und lichtarmen Wohnungen in der Altstadt oder in Mietskasernen boten die neuen Drei-Zimmer-Wohnungen mit Küche einen guten Standard. Manche bezeichneten sie als „Arbeitervillen“.
Die Infrastruktur entwickelte sich sukzessive: 1912/1913 erhielt die Siedlung Straßenpflaster und Bürgersteige. Damit kamen auch Wasserleitungen, davor hatten die Haushalte ihr Wasser an Hydranten auf der Straße geholt. 1909 wurde der Gasanschluss gelegt, elektrische Versorgung Ende der 1920er Jahre. Die Kanalisation wurde erst 1930/31 gebaut.
Für die Bewohner*innen waren vor allem die Gärten hinter den Häusern wichtig. Sie ermöglichten ihnen, sich mit Gemüse und Kartoffeln zu versorgen. Die Schuppen hinter den Häusern dienten als Lagerraum, vielfach wurden Kleintiere wie Kaninchen, Hühner usw. gehalten. Einige Familien pachteten Land dazu, um für den Eigenbedarf zu ernten oder auf Märkten ihre Überschüsse zu verkaufen.
Die Bewohner*innen der Siedlung schätzten vor allem die gute Nachbarschaft und entwickelten ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Die Straßen und Gärten wurden als Treffpunkte genutzt.
Seit 1977 stehen die Häuser an der Menzel- und Schnabelstraße auf der Liste der Kulturdenkmale der Stadt Hannover, seit Inkrafttreten des Denkmalschutzgesetzes 1979 sind sie als typisches Beispiel des Arbeiterwohnungsbaus der vorletzten Jahrhundertwende geschützt.
Der Text auf der Tafel:
Die beiden Straßen entstanden zwischen 1901 und 1913. Sie waren die erste Bebauung in Oberricklingen. Um Wohnraum für ihre Familien zu schaffen, hatten sich Arbeiter der Hannoverschen Waggonfabrik/HAWA und der Hanomag zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen. Das Bauland erwarb der Gemeinnützige Bauverein Ricklingen von dem Brauereibesitzer und Ricklinger Ortsvorsteher Ernst Conrad Schnabel. Max Menzel, Direktor der HAWA von 1898 bis 1902, unterstützte den Bauverein durch eine Zahlungsgarantie. Die 76 Doppelhäuser mit zwei Drei-Zimmer-Wohnungen in jeder Haushälfte boten Platz für über 300 Familien. Die Bewohner*innen schätzten vor allem die gute Nachbarschaft und entwickelten ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Seit 1979 steht die Siedlung als typisches Beispiel des Arbeiterwohnungsbaus unter Denkmalschutz.