"Einen Baum zu fällen ist immer die letzte Option“: Die Landeshauptstadt Hannover kontrolliert regelmäßig die rund 225.000 Bäume im Stadtgebiet, um deren Zustand zu ermitteln und die Bäume möglichst lange am Leben zu halten. Aber wie geht sie eigentlich dabei vor? Das haben Fachleute des städtischen Fachbereichs Umwelt und Stadtgrün am 9. März am Beispiel einer alten Eiche in der Culemannstraße demonstriert.
„Stadtbäume haben vielfältige positive Wirkungen auf die Menschen. Sie dienen als Schattenspender, zur Luftverbesserung und für lebendiges, schönes Grün in der Stadt. Der Schutz und Erhalt des Baumbestandes ist eine wesentliche Aufgabe des Fachbereiches Umwelt und Stadtgrün“, erläutert Tina Kruse, kommissarische Leiterin des Sachgebiets Baum und Flächenschutz, und führt weiter aus: „Einen Baum zu fällen ist immer die letzte Option – nämlich dann, wenn die Verkehrssicherheit nicht mehr gegeben ist oder wiederhergestellt werden kann.“
Alle durch den Bereich Grünflächen der Landeshauptstadt Hannover verwalteten Stadtbäume, die zur Gefahr für Menschen und Umgebung geworden sind und deshalb im Herbst und Winter gefällt werden müssen, werden in der sogenannten Liste verzeichnet. Diese wird den Naturschutzverbänden und den Bezirksräten im Oktober, zu Beginn der Fällsaison, durch den Fachbereich Umwelt und Stadtgrün zur Information zugesandt. Bevor ein Stadtbaum fallen muss, wird er mehrfach und eingehend untersucht, mögliche Schnitt- und Erhaltungsmaßnahmen werden abgewogen. Dabei setzen die Expert*innen der Stadt verschiedenste Werkzeuge, alle Sinne und viel Erfahrung ein.
Vom Groben zum Feinen – Kontrolle in drei Gängen
Wie eine Kontrolle ablaufen soll, ist in mehreren Regelwerken festgelegt, etwa in den Baumkontrollrichtlinien der Forschungsgesellschaft Landesentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL). Jeder Stadtbaum wird regulär einmal im Jahr durch „visuelle Inaugenscheinnahme“ geprüft. Stellen die Kontrolleur*innen dabei Auffälligkeiten fest, wird eine weitergehende „Nachkontrolle“ durchgeführt. Kann danach ein Gefahrenpotenzial nicht ausgeschlossen werden, wird mit einer umfangreichen sogenannten „eingehenden Untersuchung“ geprüft, ob ein Baum gefällt werden muss oder welche Maßnahmen ergriffen werden können, um den Baum gleichzeitig sichern und erhalten zu können. Diese umfangreiche Prüfung wird nur von speziell qualifizierten Kontrolleur*innen durchgeführt. In seltenen Fällen muss darüber hinaus ein*e externe*r Gutachter*in hinzugezogen werden.
Das A und O: Ist der Baum noch verkehrssicher?
Im Fokus der Baumkontrolle steht letztlich immer die sogenannte „Verkehrssicherheit“. Jeder Baum soll so lange wie möglich erhalten bleiben, darf aber keine Gefahr für seine Umgebung, Vorbeispazierende oder spielende Kinder darstellen. Verkehrssicherheit bedeutet: Ein Baum muss erstens stand- und zweitens bruchsicher sein.
Die Standsicherheit bezieht sich vor allem auf den Wurzelbereich. Wenn Wurzeln zum Beispiel durch Bauarbeiten verletzt sind und so holzzerstörende Pilze eintreten konnten, kann das dazu führen, dass der Baum sich nicht mehr ausreichend über seine Wurzeln im Boden verankern kann. Auch Faktoren im unmittelbaren Umfeld werden überprüft, die indirekt die Standfestigkeit beeinflussen können: Wenn der Baum insgesamt wenig Wurzelraum hat, der Boden durch parkende Autos oder Bauarbeiten verdichtet und das Grundwasser abgesenkt oder durch Schadstoffe – vor allem Streusalz – belastet ist, wird die Wasser- und Nährstoffaufnahme über die Wurzeln schwierig. Das schwächt die Vitalität des Baumes insgesamt, damit leidet dann auch die Standfestigkeit.
Für die Prüfung der Bruchsicherheit werden der Stamm und die Baumkrone unter die Lupe genommen: Wie stehen die Äste zu einander? Gab es bereits Astbruch? Sind Astungswunden oder große Löcher erkennbar? „Es geht darum, physikalische Krafteinwirkungen abzuschätzen: Besteht die Gefahr, dass Äste ab- oder auseinanderbrechen, wenn Wind, Regen oder Schneelast auf den Baum wirken?“, erläutert Tina Kruse.
Gesunde Bäume können sich an solche äußeren Einflüsse und an die speziellen Bedingungen an ihrem Standort grundsätzlich gut anpassen und sind sehr widerstandfähig. Wenn ein Baum aber bereits verletzt und geschwächt ist – zum Beispiel durch Anfahrunfälle, Bodenverdichtung oder Pilzbefall – sinkt seine Widerstandskraft. Anzeichen dafür, dass es einem Baum nicht gut geht, sind unter anderem: welkes Laub im Sommer, Faullöcher oder äußere Verletzungen.
Mit Maßband, Gummihammer und allen Sinnen
Bei der eingehenden Untersuchung prüfen die Baumkontrolleur*innen den Baum „von Kopf bis Fuß“ beziehungsweise von den Wurzeln bis zu Krone. Die Schwierigkeit ist: Man kann in den Baum nicht reingucken. Und: Jeder Baum ist ein komplexes individuelles Lebewesen, geprägt durch seine unmittelbare Umgebung mit spezifischen Wind-, Boden- und Grundwasserverhältnissen. Deshalb werden so viele Informationspuzzleteile wie möglich gesammelt, um letztlich einen Gesamteindruck zu gewinnen und Rückschlüsse auf die Baumgesundheit und mögliche Gefahren ziehen zu können.
Für die eingehende Untersuchung der Baumkrone ist oft der Einsatz einer Hebebühne erforderlich. Bis in 30 Metern Höhe können die Baumkontrolleur*innen damit in den Baum fahren und so auch die oberen Stammbereiche und die Krone des Baumes ganz genau untersuchen. Mit Maßband, Winkel- und Höhenmesser werden zunächst handfeste Fakten gesammelt und mit früheren Zahlen abgeglichen: Sind Auffälligkeiten im Wachstumsverhalten feststellbar?
Doch nicht alles kann in Zahlen gemessen werden. Erfahrung, Sensibilität und alle Sinne sind gefragt. Dabei helfen Gummihammer und Sondierungsstab: Klingt der Baum beim Abklopfen hohl oder „diffus“? Gibt es Auffälligkeiten im Wuchs, Hohlräume, Verletzungen, Risse, Rippen, feuchte Bereiche, Spechtlöcher? Alle Informationen werden dokumentiert.
Mit einem speziellen Bohrwiderstandsmesser kann der Bohrwiderstand im Holz gemessen werden. Fällt der Widerstand beim Bohren in das Innere des Baumstammes plötzlich ab, ist das ein Hinweis auf Fäulnis. Obwohl die Bohrnadel nur 3 Millimeter dick ist: Gebohrt wird wirklich nur im konkreten Verdachtsfall, denn jede Wunde ist eine mögliche Eintrittspforte für holzzerstörende Pilze.
Bäume heilen anders als Menschen: Eine Verletzung wächst nicht wieder zu. Der Baum wächst immer nur nach außen. Um den verletzten Bereich bildet er eine „Abschottungszone“ und wächst dann sozusagen um die Stelle herum. Mit der Zeit wird die Verletzung „über-wallt“. Es entstehen die typischen „schwülstigen Stellen“ am Stamm oder Ästen, die aussehen wie ein überlaufendes Fass.
Schneiden oder Fällen? – Maßnahmen für die Verkehrssicherheit
Wenn ein Baum hohl ist, heißt das noch lange nicht, dass er auch gefällt werden muss. Tatsächlich wird fast jeder alte Baum irgendwann hohl: Holzzerstörende Pilze bauen das Holz im Inneren des Stammes ab, während der Baum nach außen hin weiterwächst. Solange Abbau und Zuwachs im Gleichgewicht stehen, ist das meistens kein Problem. Erst, wenn der Baum in seiner Vitalität geschwächt ist, kann es passieren, dass die holzzerstörenden Pilze „gewinnen“. Wenn die sogenannte „Restwandstärke“ des Stammes zu dünn wird, droht die Gefahr, dass der Baum irgendwann bricht oder umkippt. Baumkontrolleur*innen müssen einschätzen, wann diese Grenze erreicht ist. Dann muss der Baum gefällt werden.
Die Entscheidung, wann und ob ein Baum gefällt wird, hängt auch vom Standort ab. Bei einem geschwächten Baum, der in einer Windschneise steht, ist das Risiko für Astbruch höher als bei einem Baum mit Windschutz. Ein Baum auf einem Spielplatz oder an einer belebten Straße wird schneller zur Gefahr als ein abgelegen stehender Baum in einer wenig besuchten Parkanlage.
Grundsätzlich ist die Fällung jedoch immer die letzte Option. Tina Kruse erläutert: „Oft reicht es aus, Schnittmaßnahmen oder weitere Sanierungsmaßnahmen durchzuführen: Durch Entfernen von Totholz, Einkürzen der Äste oder Auslichten der Krone können potenzielle Gefahren minimiert werden. Wenn dafür allerdings sehr viel Material weggeschnitten werden muss, stellt sich auch die Frage der Ästhetik: Wie viel kann man wegschneiden, ohne den Baum zu verstümmeln? – Letztlich ist diese Entscheidung auch eine Sache des Respekts gegenüber dem Baum als Lebewesen.“