Rechtsextremistische Frauen werden häufig nur als „Freundin von...“ und „Ehefrau von...“ wahrgenommen. Ihre tragende Rolle als ideologische Multiplikatorinnen und politisch aktive Aktivistinnen wird vielfach unterschätzt. Mit diesem Phänomen beschäftigten sich gut 100 Teilnehmer/innen am 17. März 2014 auf einem Fachtag im Neuen Rathaus. Die Veranstaltung wurde von einem breiten Bündnis von Kooperationspartner/innen organisiert und durchgeführt. Hierzu zählen:
Referat für Frauen und Gleichstellung der Landeshauptstadt Hannover (LHH)
Stelle für Demokratiestärkung und gegen Rechtsextremismus der LHH
Bildungsverein Soziales Lernen und Kommunikation e.V.
Gleichstellungsbüro der Leibniz Universität Hannover
Arbeitsstelle Diversität-Migration-Bildung (diversitAS) der Leibniz Universität Hannover
Arbeit und Leben Niedersachsen – Bildungsvereinigung Mitte gGmbH
Eröffnet wurde die Veranstaltung durch die niedersächsische Sozialministerin Cornelia Rundt. Sie stellte in ihrem Grußwort fest, dass es kaum wissenschaftliche Studien über die Rolle von rechtsextremen Frauen gebe. Zwar seien Frauen weniger gewaltbereit, als ihre männlichen Gesinnungsgenossen, doch fielen sie verstärkt durch Propagandadelikte auf. Auch Schirmherr und Oberbürgermeister Stefan Schostok betonte die Wichtigkeit des Themas und dankte den Anwesenden für ihr Engagement. Anschließend erklärte die städtische Gleichstellungsbeauftragte Friederike Kämpfe, wie beispielsweise in den Medien die Rolle von Beate Zschäpe in der Nazi-Terrorgruppe NSU marginalisiert wurde. Dieser Fall sei beispielhaft für die „Unsichtbarmachung“ von Frauen, die in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen vorkomme. Reinhard Koch von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG) in Braunschweig rief die Teilnehmer/innen dazu auf, sich als „Botschafter/innen der Demokratie“ zu verstehen und sich in ihren Kommunen aktiv gegen Rechtsextremismus zu engagieren.
Im anschließenden Vortrag lobte die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Esther Lehnert (Fachstelle Gender und Rechtsextremismusprävention der Amadeu-Antonio-Stiftung) das vorbildliche Engagement gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen und gab einen Einblick in das umfassende Tätigkeitsspektrum rechtsextremer Frauen. Lehnert berichtete über die Spannbreite an weiblichen Rollenbildern in der rechtsextremen Szene. So würden Frauen in der traditionellen nationalsozialistischen Ideologie auf die Rolle der Mutter und Unterstützerin des Mannes reduziert. Sie organisierten in ihren Nachbarschaften szenetypische heidnische Rituale wie das „Julbrotbacken“ und stellten Fotos von Torten mit Hakenkreuzen für „ganz normale“ Familienfeiern ins Internet. Darüber hinaus versuchten sie durch gesellschaftliches Engagement, beispielsweise in Elternbeiräten oder in Vereinen, ihre Ungleichwertigkeitsvorstellungen zu verbreiten.
Dass dies nur selten auffalle – so erklärte Lehnert – sei auf alltägliche sexistische Vorstellungen zurückzuführen, die nicht nur in rechten Kreisen vorkämen. Frauen würden als friedfertig gelten. Aktiv eine menschenfeindliche Ideologie zu vertreten, traue man ihnen nicht zu.
Diese starren Geschlechterbilder seien auch lange in der Wissenschaft prägend gewesen. Gender – insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsextremismus – spielte bis Mitte der Neunziger Jahre praktisch keine Rolle. Die klischeehafte Vorstellung von männlichen Glatzköpfen in Springerstiefeln als treibende Kraft in der Verbreitung rechtsextremer Ideologie habe kaum noch Bezug zur Realität. Heutzutage verständen es Rechtsextremist/innen sich zu tarnen und bürgerlich aufzutreten. Lehnert zeigte auf, wie Vorstellungen, dass weibliche Neonazis grundsätzlich „verirrte Mitläuferinnen“ oder „Anhängsel männlicher Rechtsextremisten“ seien, ihrem Treiben in die Hände spiele. Es erleichtere ihnen die Erschleichung des Vertrauens erzieherischer Institutionen und letztlich das Unterwandern einer demokratischen Gesellschaft. Die Referentin schloss ihren Vortrag mit der Anregung, diese Erkenntnisse bei der Präventionsarbeit zu berücksichtigen.
Nachdem Lehnert die Fragen der Zuhörer/innen beantwortet hatte, stärkten sich die Teilnehmer/innen am Buffet und teilten sich in vier Workshops auf, die anschließend ihre Ergebnisse präsentierten.
Der erste Workshop ging der Frage nach, wie man der Verbreitung rechtsextremer Ideologien in Kindertagestätten entgegenwirken kann. Die Runde war sich einig, dass Frauen und Mädchen ernst genommen werden müssten und Kita-Leitung, Träger/in und andere Eltern sich zusammenschließen sollten. Unter diesen Voraussetzungen können rechtsextremistische Ideologien schnell erkannt und bekämpft werden. Die zweite Gruppe riet zur Reflexion der eigenen Geschlechterrollenvorstellungen, um gendersensibel arbeiten zu können. Problematisch für die Präventionsarbeit sei, dass sich faschistisch erzogene Mädchen äußerlich kaum von ihren Altersgenossinnen unterschieden – dies erschwere ihre Erkennung. Der dritte Workshop ging wiederum auf einschlägige rechtsextreme Merkmale und Zeichen ein, die man zu deuten lernen müsse. Dazu zählen u. a. die favorisierte Musik, Kleidungsauswahl und Tätowierungen. Der letzte Workshop konzentrierte sich auf die Aktivitäten rechtsextremer Frauenorganisationen und deren Auffassung von Geschlecht und Weiblichkeit. Die Teilnehmer/innen konnten zeigen, dass die starren Geschlechterbilder der Nazi-Ideologie bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen.
Zum Schluss bedankten sich die Organisator/innen bei den Teilnehmenden, die wichtige Impulse für ihr Engagement mitnehmen konnten. Durch die gut sechsstündige Veranstaltung ist die kommunale Präventionsarbeit ein gutes Stück vorangekommen, da so manches Bild der rechtsextremen Szene aktualisiert und so die Wachsamkeit gegenüber ihrem Einfluss gestärkt wurde.