Interview
Ab 50 Jahren die Ohren testen
Warum ist es so wichtig, die Ohren zu schützen? Der Leiter der HNO-Klinik des KRH Klinikums Nordstadt Prof. Dr. Hans-Jürgen Welkoborsky gab zum Tag des Hörens am 3. März Antworten auf diese und weitere Fragen.
Herr Prof. Welkoborsky, unser Ohr ist rund um die Uhr auf Empfang, schon vor der Geburt nehmen wir Töne wahr. Halten das unsere Ohren eigentlich über die Jahre aus oder hat das Auswirkungen?
Generell ist es so, dass die Hörfähigkeit des Menschen im Alter nachlässt. Das liegt an Verschleißerscheinungen im Bereich des Innenohres, also der Hörschnecke. Dort befinden sich feine Haarzellen, die sich im Laufe der Zeit abnutzen. Dieser Prozess geht schon relativ früh los. Bei Menschen, die 50 oder 60 Jahre alt sind, können wir im Bereich hoher Frequenzen fast immer eine gewisse Hörstörung messen. Wenn man das Gefühl hat, schlechter zu hören, sollte man dann die Ohren untersuchen lassen. Je älter man wird, desto mehr kann dieser Prozess fortschreiten, sodass irgendwann die Versorgung mit einem Hörgerät notwendig wird, damit der Mensch kommunikationsfähig bleibt.
Kommen altersbedingte Hörerkrankungen heute häufiger vor als früher?
Ich weiß nicht, ob sie im Alter häufiger vorkommen. Aber wir haben mehr Menschen, die alt werden, weil die Lebenserwartung insgesamt in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. In der Folge gibt es natürlich auch mehr Menschen mit Altersschwerhörigkeiten. Wir rechnen mit etwa 10 bis 12 Millionen Menschen in Deutschland, die eigentlich mit einem Hörgerät versorgt werden müssten.
Können Sie sagen, ab wann die Ohren beginnen schlechter zu werden?
Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Teilweise können wir schon bei jungen Leuten Hochtonschwerhörigkeiten messen. Das hat allerdings nichts mit der Altersschwerhörigkeit, sondern mit Lärmbelastung beispielsweise durch den falschen Umgang mit Unterhaltungselektronik zu tun. Der Prozess der Altersschwerhörigkeit setzt etwa zwischen dem 25. und 30. Lebensjahr langsam ein.
Je älter ein Mensch wird, desto stärker wird ihm der schleichende Hörverlust bewusst. Aber auch hier gibt es große individuelle Unterschiede: Bei wem der Hörsinn relativ schnell und bei wem er sehr langsam nachlässt, kann man nicht voraussehen. Dafür sind mehrere Höruntersuchungen in einem gewissen zeitlichen Abstand notwendig, um die Ergebnisse miteinander vergleichen zu können.
In welchem Alter oder bei welchen Symptomen würden Sie empfehlen sich untersuchen zu lassen?
Auch das hängt stark von individuellen Lebensumständen ab. Bei Menschen, deren Ohren beispielsweise arbeitsbedingt besonders stark belastet sind, beginnt der Prozess der Hörstörung früher als bei Menschen, die dieser Belastung nicht ausgesetzt sind. Wer in einem normal lauten Umfeld lebt und arbeitet, sollte ab dem 50. Lebensjahr einen Hörtest machen lassen, bei Beschwerden natürlich früher. Danach reicht es aus, den Test alle ein bis zwei Jahre zu wiederholen. Wird eine Altersschwerhörigkeit festgestellt, handelt es sich typischerweise um eine Hochtonschwerhörigkeit, die das Richtungshören beeinträchtigt. Betroffene erkennen das auch daran, dass es ihnen zunehmend schwerer fällt, Stimmen richtig zuzuordnen, wenn viele Menschen in einem Raum durcheinander sprechen. Wir nennen das den sogenannten Partyeffekt. Manchmal bemerken Patientinnen und Patienten zwar diese ersten Symptome, wollen sie aber nicht wahrhaben.
Gibt es dafür typische Verhaltensweisen?
Wenn man das Gefühl im Umgang mit dem anderen hat, dass er das Radio oder den Fernseher sehr laut stellt, dass er permanent nachfragt, dass er den Kopf zu einer Schallquelle richtet, unter Umständen auch die Ohrmuschel aufstellt oder mit der Hand die Ohrmuschel zu vergrößern versucht, wie mit einem Trichter – dann sind das Indizien, die auf eine Hörstörung hindeuten könnten. In diesen Fällen ist es sinnvoll, die Betroffene oder den Betroffenen auch mal darauf anzusprechen und einen Besuch beim HNO-Arzt zu empfehlen.
Was kann passieren, wenn eine Hörstörung nicht untersucht und behandelt wird?
Dann hört eine Patientin oder ein Patient immer schlechter, weil der Prozess fortschreitend ist. Und je schlechter jemand hören kann, desto schlechter wird die Kommunikationsfähigkeit. Unsere Umwelt nehmen wir nicht nur visuell, sondern im gleichen Maße auch audiologisch, also über die Ohren, wahr. Wenn dieser Sinneseindruck wegfällt, vereinsamen Menschen regelrecht, weil sie nicht mehr verstehen, was der Gegenüber sagt, weil sie nicht mehr Fernsehen schauen oder in die Stadt gehen können, da sie den Autoverkehr auf der Straße nicht hören. Viele Patientinnen und Patienten ziehen sich dann zurück und nehmen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Diese Isolation ist heutzutage gar nicht mehr nötig, da es gute Möglichkeiten gibt, zu helfen.
Die Hörgeräte-Technik hat in den letzten Jahren einen großen Fortschritt gemacht. Viele moderne Geräte sind inzwischen so klein, dass man sie kaum sieht. Außerdem sind mehrere Programme einstellbar, um zum Beispiel Störgeräusche zu unterdrücken. Und wenn das Hörvermögen so schlecht ist, dass ein Hörgerät nicht mehr ausreicht, lässt sich durch ein Cochlea Implantat das Hörvermögen operativ wiederherstellen, selbst bei Patientinnen und Patienten, die ganz taub sind.
An wen wendet man sich am besten, wenn das Hören nachlässt?
Direkt an die HNO-Ärztin oder den HNO-Arzt. Wenn eine größere Hörstörung vorliegt, werden die Patientin oder der Patient an eine HNO-Klinik verweisen. Im KRH Klinikum Nordstadt bieten wir eine so genannte Ohrsprechstunde an, um eine Hörstörung abklären zu lassen oder zur Nachsorge nach einem operativen Eingriff.
Sie sagten, dass Sie auch Hörstörungen bei jüngeren Menschen beobachten. Hat das zugenommen?
Ja. Manchmal messen wir sogar schon bei 18- oder 20-Jährigen im Hochtonbereich eine Hörminderung. Wir führen das unter anderem auf den Gebrauch der Unterhaltungselektronik zurück. Wenn man Ohrstöpsel ins Ohr steckt, damit den Gehörgang abdichtet und die Lautstärke des Geräts voll aufdreht, können bis zu 120 Dezibel auf die Ohren schallen. Schon in wenigen Minuten kann bei dieser Lautstärke das Gehör geschädigt werden. Generell gilt: Alles, was lauter als 85 Dezibel ist und über mehrere Stunden auf uns einwirkt, kann auf Dauer den Ohren schaden. Zum Vergleich: 85 Dezibel erzeugt ein Lastwagen, der in einem Abstand von 25 bis 30 Metern anfährt. Je stärker und lauter ein Geräusch ist, desto schneller kann es eine Hörschädigung verursachen. Allerdings ist die Lärmempfindlichkeit von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche haben eine höhere, manche eine geringere Toleranz gegenüber Lärm. Woran das liegt, ist noch Gegenstand der Forschung. Aber wir wissen, dass es auch eine unterschiedliche Ausprägung bezüglich einer möglichen Hörstörung auf Grund dieser unterschiedlichen Empfindlichkeit gibt.
Sind eher hohe oder eher tiefe Töne besonders problematisch?
Bei hoher Lautstärke beeinträchtigt das gesamte Ton-Spektrum das Ohr. Bässe werden aber nicht nur über die Gehörknöchelchenkette übertragen, sondern auch über den Knochen. Hohe Frequenzen sind besonders unangenehm. In der Hörschnecke im Ohr ist Flüssigkeit, die durch eine Schallwelle wellenartig in Bewegung versetzt wird. Je stärker der Schall, desto höher diese Welle, die zuerst auf die Hörzellen prallt, die die hohen Frequenzen abbilden. Deswegen werden die hohen Frequenzen bei einem Lärmschaden immer zuerst geschädigt.
Wie kann man sein Gehör schützen?
Zunächst erstmal sollten Sie übermäßigen Lärm meiden. Das bedeutet nicht nur Lärmschützer tragen, wenn man einen lärmintensiven Beruf wie Karosseriebauer oder ähnliches hat. Das bedeutet auch, seine Ohren in der Freizeit vor Lärm zu schützen. Beispielsweise sollten der MP3-Player oder irgendwelche anderen Geräte nicht voll aufgedreht werden. In der Disko oder bei Konzerten sollte man darauf achten, sich nicht direkt vor die Lautsprecher zu stellen und Ohrstöpsel zu verwenden, die den Schall um 20 bis 30 Dezibel vermindern.
Gibt es eine Vorsorgeuntersuchung für die Ohren?
Standardisiert nicht, aber die HNO-Ärztinnen und HNO-Ärzte bieten verschiedene Programme an, mit denen man seine Ohren überprüfen kann. Dazu gehören eine klinische Untersuchung der Ohren, ein Ton- und Sprachhörtest sowie die konkrete Messung des Ohrgeräusches, wenn ein Ohrgeräusch vorliegt. Damit erhält man einen sehr guten Überblick über den Zustand des Gehörs. Und wenn wir feststellen, dass das Hörvermögen auf dem rechten beziehungsweise linken Ohr unterschiedlich ist oder dass ein Hörvermögen sehr schnell nachlässt, ist es möglich, weitere Untersuchungen durchzuführen. Durch Messungen des Gleichgewichtssystems oder durch eine Kernspintomographie von Hörgleichgewichtsnerven und vom Hirnstamm können wir erkennen, ob irgendwelche anderen Störungen vorliegen, die eine Hörstörung erklären. Aber das ist relativ selten der Fall.
Kann man den Ohren auch Gutes tun?
Das Gehör hat Auswirkungen auf die Psyche. Einige finden es sehr entspannend, bestimmte Geräusche in moderater Lautstärke zu hören wie beispielsweise Meeres- oder Blätterrauschen. Eben etwas, das beruhigt und für das allgemeine Wohlbefinden gut ist. Nur: Die Ohren schützt das nicht, aber der Klang verbessert das Allgemeinbefinden. Generell lässt sich sagen: Geben Sie ihren Ohren öfter mal eine Verschnaufpause, das tut ihnen am besten.