An der Medizinischen Hochschule wurde der 100. Patienten mit einer neue minimal-invasiven Methode behandelt. Durch die Chemosaturation können Tumoren gezielt und effektiv bekämpft werden.
Die Chemosaturation ist eine innovative minimal-invasive Behandlungsmethode für Patienten mit Leberkrebs und in die Leber metastasierten Tumoren. 2014 haben Spezialisten der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) dieses aufwändige Verfahren erstmals angewendet. Mittlerweile wurde dort der 100. Patient auf diese Weise therapiert. Damit gehört die MHH bei der Chemosaturation zu den weltweit führenden Zentren. Das Behandlungsverfahren wird vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie gemeinsam angeboten.
Chemosaturation
"Die Methode bietet insbesondere bei Patienten, bei denen keine andere Behandlung anspricht, die Möglichkeit, das Wachstum des Tumors in der Leber zu stoppen oder ihn sogar zu verkleinern", erklärt Professor Dr. Frank Wacker, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie. Bei der Chemosaturation fluten die Mediziner die Leber durch die Schlagader mit einem hochdosierten Chemotherapeutikum. Während dieses Eingriffs wird die Leber durch einen zweiten speziellen Katheter vom übrigen Blutkreislauf des Körpers isoliert, das Leberblut wird außerhalb des Körpers durch besondere Filter geleitet. Das gereinigte Blut fügen die Ärzte anschließend wieder dem Blutkreislauf zu. So können Tumoren ganz gezielt mit hochtoxischen Substanzen bekämpft werden. Das umgebende Gewebe wird dabei weitestgehend geschont. Der Eingriff dauert mehrere Stunden, die Patienten werden dafür an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen.
Erfolge bei primären Leberkrebs
"Die Erfahrungen der vergangenen drei Jahre haben gezeigt, dass die Chemosaturation besonders beim primären Leberkrebs sowie bei in die Leber gestreuten Metastasen des Aderhautkrebses wirksam ist", sagt Professor Dr. Michael Manns, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie. Diese Erkenntnisse decken sich auch mit den Ergebnissen internationaler Studien, an denen die MHH beteiligt ist. Zum primären Leberkrebs gehören das hepatozelluräre Karzinom (HCC) das aus lebereigenen Zellen entsteht, und das cholangiozelluläre Karzinom, das von den Gallengängen ausgehend in die Leber einbricht. Aderhautkrebs ist die häufigste bösartige Tumorerkrankung des Auges und metastasiert zumeist in die Leber. Die Chemosaturation kann darüber hinaus bei Lebermetastasen des Darmkrebses und des Hautkrebses eingesetzt werden.
Wenig Nebenwirkungen
"Das Verfahren hat für die Patienten einige Vorteile", erläutert Interventionsradiologe Dr. Steffen Marquardt. "Sie haben trotz des Zytostatikums kaum Nebenwirkungen und können nach etwa einer Woche Krankenhausaufenthalt zuhause wieder ihr gewohntes Leben führen." So erging es auch Joachim S. aus der Wedemark. "Ich war anfangs noch etwas wackelig auf den Beinen und musste ein Antibiotikum nehmen, hatte aber sonst keine Probleme", berichtet er. Bei dem 77-Jährigen kam es 2012 bei einer Routineuntersuchung der Augen zu einem auffälligen Befund, der sich als Aderhautkrebs herausstellte. Der Tumor metastasierte in die Milz und in die Leber. Die Geschwulst in der Milz konnte in der Radiologie bildgestützt entfernt werden, die Tumoren in der Leber wurden mit der Chemosaturation behandelt. Viermal hat sich Joachim S. seit 2015 dem Verfahren unterzogen. "Die Tumoren sind jetzt nur noch sehr klein und werden offenbar auch nicht mehr durchblutet, das ist für mich ein sehr gutes Ergebnis", stellt er fest.
Wachstum von Metastasen verlangsamt
Bei Sabine F., einer 77-jährigen Patientin aus Hannover, war ebenfalls ein Aderhautmelanom die Ursache für die Metastasen in der Leber. Das Melanom wurde 2010 diagnostiziert und behandelt. Weil sie die Ärzte auf das Risiko der Metastasierung aufmerksam gemacht hatten, ließ sie regelmäßig ihre Leber kontrollieren. Vor zwei Jahren zeigten sich bei einer Ultraschalluntersuchung tatsächlich einige tumorverdächtige Stellen. Eine Gewebeprobe bestätigte den Verdacht. Die MHH-Experten rieten ihr zur Chemosaturation. "Das Verfahren ist für den Körper schon eine große Belastung", sagt sie, "aber ich bin trotzdem sehr glücklich, dass es diese Behandlungsmöglichkeit überhaupt gibt." Zweimal wurde die Chemosaturation bei ihr durchgeführt. Die Metastasen sind zwar noch da, aber sie sind sehr klein und wachsen nicht mehr. Zurzeit ist bei Sabine F. keine weitere Chemosaturation geplant, der Zustand ihrer Leber wird alle drei Monate per Magnetresonanztherapie untersucht.
Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet und aus dem Ausland
"Eine vollständige Heilung können wir mit der Chemosaturation nicht garantieren, aber sie ist eine sehr gute Möglichkeit für Patienten, wertvolle zusätzliche Lebenszeit zu gewinnen", bilanziert Professor Wacker. Bei einigen Patienten funktioniert das bereits über einen Zeitraum von drei Jahren. Die Patienten für das Verfahren kommen aus dem gesamten Bundesgebiet, teilweise sogar aus dem Ausland.