Die Medizinische Hochschule startet ein neues Forschungs- und Behandlungsangebot, das potentiellen Vergewaltigern zeigen will, wie sie ihre sexuellen Impulse kontrollieren können.
Die Experten des Arbeitsbereiches Klinische Psychologie und Sexualmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) starten ein neues Forschungs- und Behandlungsangebot: Prävention und Behandlung dysregulierter Sexualität, kurz PBDS. Es richtet sich an Menschen, die fürchten, ihre sexuellen Impulse nicht mehr kontrollieren zu können. Dazu gehören neben dem exzessiven Konsum von Pornografie auch sexuelle Gewaltfantasien und sexuelle Übergriffe auf Frauen. Voraussetzung für die Aufnahme in das Behandlungsprogramm ist, dass gegen die Betroffenen zum jetzigen Zeitpunkt kein Ermittlungs- oder Strafverfahren vorliegt.
Motto: "Tatprävention ist der beste Opferschutz"
Unter dem Motto "Tatprävention ist der beste Opferschutz" erhalten Betroffene anonym und kostenlos therapeutische Hilfe unter Schweigepflicht. Ziel ist es, die Patienten in die Lage zu versetzen, ihre Sexualität zu regulieren und damit die langfristige Verhinderung von sexuellen Übergriffen auf Frauen. „Jeder einzelne verhinderte Übergriff ist es wert“, sagte die Niedersächsische Sozialministerin Cornelia Rundt während der Vorstellung des Projektes in der MHH. Das Projekt trage zu einem wirkungsvollen Opferschutz bei, denn potenzielle Straftäter würden behandelt, bevor es tatsächlich zu einer Straftat komme. Das Niedersächsische Sozialministerium fördert das auf drei Jahre angelegte Projekt mit 450.000 Euro.
Sexuelle Übergriffe haben Vorlauf
"Sexuelle Übergriffe passieren nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel", erklärte Professor Dr. Uwe Hartmann, Leiter des Arbeitsbereichs Klinische Psychologie und Sexualmedizin an der MHH. "Es gibt einen Vorlauf in der Seele und der Sexualität des Täters. Die von uns angebotene Therapie kombiniert psychotherapeutische und sexualmedizinische Ansätze und bietet dabei auch die Möglichkeit einer zusätzlichen medikamentösen Unterstützung."
Wissenschaftliche Begleitung und Untersuchung
Um die Hintergründe der sexuellen Phantasien und Impulse besser zu verstehen, werden die Patienten auf freiwilliger Basis parallel zum Therapieangebot wissenschaftlich begleitet und untersucht. "Bisherige Untersuchungen weisen zum Beispiel darauf hin, dass Alkohol- und Drogenkonsum oder auch psychiatrische Begleiterkrankungen als Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit eines sexuellen Übergriffs maßgeblich erhöhen können", erläuterte Professor Dr. Tillmann Krüger, geschäftsführender Oberarzt in der MHH-Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, der das Projekt gemeinsam mit Professor Hartmann leitet. Das soll nun genauer untersucht werden. "Letztlich wollen wir Therapieansätze weiterentwickeln, damit sie noch individueller und effektiver einsetzbar sind." Auch Thomas Weishaupt vom Verein der WEISSER RING e. V. zeigte sich von dem neuen Projekt überzeugt. "Jede Maßnahme und jedes Projekt zur Verhinderung einer Tat ist ein wichtiges und richtiges Mittel. Darum begrüßt der Verein WEISSER RING e.V. Niedersachsen, der unter seinen Vereinszielen Kriminalprävention aus Sicht der Opfer versteht, dieses Projekt. Ein Ansprechpartner für betroffene Personen, die sich jemandem anvertrauen können, ist ein erster Schritt im Sinne von Prävention. Alles was helfen kann, Straftaten und damit einhergehendes Leid von Opfern von Straftaten zu vermeiden, ist deshalb aus unserer Sicht Opferschutz im besten Sinne des Wortes", sagte der Präventionsbeauftragte des Vereins.
Hohe Dunkelziffer
Nach aktuellen Studien wird in Europa jede zwanzigste Frau im Laufe ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung. 2016 wurden in Niedersachsen 954 Fälle von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung angezeigt; in 98 Prozent der Fälle waren die Tatverdächtigen Männer; etwa zwei Drittel der Opfer stammen aus dem Nahfeld der Täter, waren also Partner oder Bekannte. Dabei existiert ein erhebliches Dunkelfeld: So wenden sich weniger als zehn Prozent der Frauen in Deutschland im Falle sexueller Gewalt an die Polizei und nur drei bis vier Prozent der Fälle werden zur Anzeige gebracht. Für tatgefährdete Personen gibt es bislang nur wenige spezialisierte Behandlungsangebote.
Kontaktmöglichkeiten für Betroffene
Menschen, die unter ihren sexuellen Impulsen leiden, können sich ab sofort unter der Telefonnummer +49 511 532-6746 (montags von 8 bis 11 Uhr; mittwochs von 15 bis 17 Uhr und freitags von 15 bis 17 Uhr) melden oder per Mail unter protect-me@mh-hannover.de.