Mit Lagenanectes richterae ist ein bisher unbekannter Meeressaurier in Niedersachsen entdeckt worden. Der weltweit einzige Plesiosaurier dieser Art wird in den NaturWelten des Landesmuseums Hannover präsentiert und wurde nach der Oberkustodin der NaturWelten Dr. Annette Richter benannt.
Fossilien bereits 1964 gefunden
Die Teile des etwa acht Meter langen Meeressauriers wurden bereits 1964 von den Fossiliensammlern K. Wiedenroth und E.O. Finzel in der ehemaligen Tongrube Moorberg bei Sarstedt in Niedersachsen gefunden. Sie gingen dann in den Besitz der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) über und gelangten als Dauerleihgabe in die Fossiliensammlung des Landesmuseums. Obwohl unvollständig, gehört das Skelett von Lagenanectes zu den am besten erhaltenen Funden eines Plesiosauriers aus der unteren Kreidezeit Europas und ist über 130 Millionen Jahre alt. Das Skelett aus Sarstedt ist sogar das einzige bekannte seiner Art.
Spektakuläre Forschungsergebnisse durch neue Methoden
Mit modernsten Methoden hat ein renommiertes Forscherteam um Sven Sachs vom Naturkunde-Museum Bielefeld Studien an dem Objekt durchgeführt und die spektakulären Forschungsergebnisse, die mit zahlreichen neuen Informationen einen besonderen wissenschaftlichen Wert bedeuten, in der Fachzeitschrift "Journal of Vertebrat Palaelontology" publiziert. "Wir freuen uns, dass wir als Museum die Möglichkeit haben, nicht nur an internationaler wissenschaftlicher Forschung teilzuhaben, sondern den Besuchern in unseren Ausstellungen auch Einblick in aktuelle Ergebnisse dieser Forschungen geben können", so Prof. Dr. Katja Lembke, Direktorin des Landesmuseums Hannover. Erhalten geblieben sind große Teile des Schädels, der Wirbelsäule und der Gliedmaßen eines ausgewachsenen Tieres. Der Hals von Lagenanectes ist nur unvollständig erhalten. Vergleiche mit verwandten Arten zeigen jedoch, dass er etwa 40 bis 50 Wirbel gehabt haben dürfte. Die Gliedmaßen waren zu Paddeln umgewandelt, mit denen die Tiere sich im Wasser ähnlich wie Meeresschildkröten fortbewegten.
Besonderheiten der Fossilfunde
"Ein besonderer Glücksfall war es, dass der vordere Teil des Unterkiefer geborgen wurde, da sich hier einzigartige Merkmale befinden", sagt Dr. Jahn Hornung aus Hamburg, Mitautor der Publikation. Hierzu gehören Zähne, die im vorderen Unterkiefer nicht wie gewöhnlich auf der Oberseite, sondern seitlich im Kiefer saßen, sowie ein verstärktes Kinn mit markanten Beulen auf der Unterseite. Im Oberkiefer zeigt Lagenanectes (wie einige seiner Verwandten) markante Vertiefungen, die der Aufnahme von Druck- oder Elektrorezeptoren gedient haben könnten, die dabei halfen die Beute zu orten. Sven Sachs vom Naturkunde-Museum Bielefeld, Erstautor der Studie, erklärt: "Eine weitere Besonderheit sind krankheitsbedingte Knochenveränderungen im Übergangsbereich vom Kopf zum Hals, die durch eine Entzündung, wahrscheinlich infolge einer bakteriellen Infektion, hervorgerufen worden sein könnten. Eine solche Infektion könnte etwa die Folge eines Bisses gewesen sein. Diese Entzündung hat möglicherweise zum Tod des Tieres beigetragen." "Bei Lagenanectes handelte es sich um einen Meeressaurier aus der Gruppe der Plesiosaurier. Seine Verwandtschaftsverhältnisse zeigen, dass er einer der ursprünglichsten Vertreter der Familie der Elasmosauriden war, die einige Zeit später in der oberen Kreidezeit zahlreiche Arten entwickelten, weltweit verbreitet waren und sich durch immens lange Hälse auszeichneten. Im Extremfall besaßen sie bis zu 75 Halswirbel, die größte Anzahl aller Wirbeltiere." sagt der Mitautor Dr. Benjamin P. Kear von der Universität Uppsala in Schweden.
Der "Leine-Schwimmer"
Die neue Saurierart wurde auf den Namen Lagenanectes richterae getauft. Der Name Lagenanectes setzt sich zusammen aus dem mittelalterlichen Namen "Lagena" für die Leine, welche das Gemeindegebiet von Sarstedt passiert, sowie dem griechischen "nektes", was "Schwimmer" bedeutet und auf die schwimmende Lebensweise Bezug nimmt. Der Artname richterae würdigt Dr. Annette Richter, Oberkustodin des Fachbereichs Naturkunde im Landesmuseum Hannover, für ihre vielfältigen Verdienste um die niedersächsische Paläontologie. "Auch wenn sein Name frei als 'Leine-Schwimmer' übersetzt werden kann, schwamm Lagenanectes sicherlich niemals in diesem Fluss, der in der Kreidezeit noch nicht existierte. Vielmehr bewohnte er ein warmes, flaches Meer, das den Norden Deutschlands vor etwa 132 Millionen Jahren bedeckte"«, erklärt Dr. Hornung.
(Veröffentlicht 30. August 2017, Quelle: Landesmuseum Hannover)