Die aktuelle Grippewelle führt zu einem drastischen Anstieg bei Lungen- und Herz-Notfallpatienten. Seit Jahresbeginn haben sich die Zahlen in der Medizinischen Hochschule Hannover deutlich erhöht.
Die Grippewelle überrollt seit Jahresbeginn die Region Hannover mit allen Konsequenzen, die das für Arztpraxen und Krankenhäuser hat. Die Zahl der Patienten, die seit Januar mit Grippesymptomen in die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) eingeliefert worden sind, ist von Woche zu Woche gestiegen. Im gleichen Umfang hat in diesem Zeitraum die Zahl der Herzinfarkt-Patienten zugenommen. "In unserer Zentralen Notaufnahme haben wir seit Jahresbeginn bei Patienten mit Grippesymptomen einen Anstieg von mehr als einem Drittel verzeichnet zum Vergleichszeitraum des Vorjahres", sagt Professor Dr. Tobias Welte, Direktor der Klinik für Pneumologie.
Impfbereitschaft hat nachgelassen
Zudem hätten die Influenzaerkrankungen zu einem dramatischen Anstieg von Verschlechterungen bei obstruktiven Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD sowie bei schweren Lungenentzündungen geführt, sagt Professor Welte. Der Pneumologe nennt zwei Hauptgründe: Zum einen habe die Impfbereitschaft deutlich nachgelassen, zum anderen hat zum zweiten Mal in Folge der verwendete Grippe-Impfstoff diese Grippe nur unzureichend abgedeckt. Insbesondere Influenza B-Viren sind in diesem Jahr dominant, ein Virustyp, der direkt das Herz infizieren kann und so zu schweren Herzmuskelentzündungen führt.
92 Herzinfarkt-Patienten in der MHH in 2018
Als Folge der Grippewelle sind auch die Zahlen der Patienten mit Herzinfarkt in den ersten Wochen des Jahres 2018 stark gestiegen. "Seit Jahresanfang mussten wir 92 Patienten behandeln, die mit Herzinfarkt in die MHH gebracht wurden", betont Professor Dr. Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie. In Monaten ohne Grippe sind es durchschnittlich 40 Fälle. "Die Zahl der schweren Fälle mit akuter Herzbeteiligung ist um 25 Prozent gestiegen."
Schutzeffekt durch Impfung
Diese dramatische Tendenz kann auch Professor Dr. Axel Haverich, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, bestätigen: "Seit Winterbeginn mussten wir vermehrt Patienten mit einem Bypass versorgen." Beide Chefärzte betonen: "Die Grippe-Impfung verringert bei älteren oder Risiko-Patienten eindeutig die Zahl der Herzinfarkte, leider wird sie nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen." Denn, so ergänzt Professor Welte: "Auch wenn der in diesem Jahr von den Krankenkassen empfohlene Impfstoff einen Teil der Erreger nicht abgedeckt hat, so bleibt dennoch immer ein deutlicher Schutzeffekt durch die Impfung."
Situation bleibt angespannt
"Die Situation ist angespannt, auch weil wir vermehrt Patienten aus umliegenden Krankenhäusern zugewiesen bekommen", sagt Professor Bauersachs. Mit ihren innovativen Behandlungsmethoden können die Herz- und Lungenspezialisten der MHH Menschenleben retten. Menschen, bei denen die Atmung versagt, wird in der MHH mit dem innovativen Verfahren einer künstlichen Beatmung, der extracorporalen Membranoxygenierung (ECMO), geholfen. In den ersten Wochen dieses Jahres musste das Verfahren bereits bei mehr als einem Dutzend Patienten angewendet werden, viermal häufiger als in Sommermonaten üblich. Auch die Zahl der implantierten Herzunterstützungssysteme wie etwa einer Impella-Microaxialpumpe hat zugenommen.
Hohes Engagement der Pflegekräfte und Ärzte
Neben der Grippewelle spielen in diesem Winter auch andere Virusinfektionen eine Rolle. Das bekommt auch die MHH zu spüren: "Auch unter unseren Ärztinnen und Ärzten sowie dem Pflegepersonal war der Krankenstand in den vergangenen Monaten deutlich höher", sagt Professor Bauersachs. "Dass wir unseren Patienten trotzdem 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen, ist dem großen Engagement aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken." Die Klinik-Direktoren betonen, dass die wegen der Grippewelle angespannte Lage durchaus zu Wartezeiten bei elektiven Patienten kommen kann. "Der Krankenhausbetrieb lässt sich nicht planen wie die Produktion in der Industrie", erläutert Professor Welte. "Die jährlich wiederkehrenden Virusepidemien, Influenza oder auch andere Erreger, führen zu einer Vervielfachung von Erkrankungen, die die Arztpraxen, aber auch die Krankenhäuser weit über das normale Maß hinaus belasten. Unserem Gesundheitssystem fehlen Strukturen, um auf die zeitlich begrenzte Erhöhung der Patientenzahlen reagieren zu können."
Kritik an falscher Impfstoff-Empfehlung
Professor Welte kritisiert zudem, dass in diesem Winter zum zweiten Mal in Folge nach 2017 der Grippeimpfstoff nur eingeschränkt wirksam ist. Die momentan vor allem grassierende Influenza B-Variante (sogenannter Yamagata-Stamm) wird von dem in Niedersachsen empfohlenen Impfstoff nicht abgedeckt. "Dabei wäre ein breiter wirksamer Impfstoff verfügbar gewesen, der diese Lücke nicht aufgewiesen hätte, allerdings wurde dieser von den Krankenkassen nicht erstattet. Eine im Nachhinein teure Fehlentscheidung, wenn man die hohen Kosten der intensivmedizinisch kranken Influenzapatienten bedenkt."