Der Mensch breitet sich in vielen Ländern immer weiter aus. So kommt es zu einer Zerstückelung der Lebensräume unterschiedlicher Tierarten. Es entstehen Randbereiche – etwa zwischen Wald und benachbarten Agrarräumen oder zwischen Wald und einer angrenzenden Savanne
Die Veränderung der Lebensräume hat bei Mausmakis weitreichende Folgen – sie beeinflusst das Erbgut, wie Professorin Ute Radespiel vom Institut für Zoologie der TiHo gemeinsam mit kanadischen Wissenschaftlern in einer Studie zeigen konnte. Dafür untersuchten die Forscher eine Population der gefährdeten Goldbraunen Mausmakis (Microcebus ravelobensis) auf Nordwest-Madagaskar. Die Tiere leben am Rand und im Inneren des Waldes. Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Oryx.
"Es ist schon länger bekannt, dass sogenannte Habitatränder weitreichende ökologische Effekte haben", sagt Radespiel. "So unterscheiden sich zum Beispiel Temperatur, Lichteinstrahlung und Feuchtigkeit zwischen Waldrand und Waldinnerem, was typischerweise zu Veränderungen in der Vegetation führt." Viele Tierarten reagieren laut Radespiel auf diese Abweichungen und zeigen eine Präferenz für diese Habitate oder meiden die Gebiete. Es komme auch vor, dass verschiedene Individuen einer Art unterschiedliche Vorlieben entwickeln.
Die Wissenschaftler vermuteten, dass Tierarten, die auf die Ränder ihrer Lebensräume positiv oder negativ reagieren, ihr Wanderverhalten entsprechend anpassen. Sei dies der Fall, könne dieses Verhalten auch das Erbgut der Tiere beeinflussen: Der übliche genetische Austausch zwischen verschiedenen Arealen des natürlichen Lebensraumes würde sich verändern, wenn sich die Tiere nicht mehr frei bewegen. Solche molekularen Randeffekte wurden laut TiHo bislang nicht erforscht.
Für ihre genetischen Analysen fingen die Forscher die Tiere und entnahmen an den Ohren kleine Gewebeproben. Insgesamt sammelten sie Proben von 41 Mausmakis, die entweder am Waldrand oder in zwei weiter innen liegenden Regionen gefangen wurden.
Die Gebiete im Waldinneren waren bis zu 1,4 Kilometer vom Waldrand und dem ersten Studiengebiet entfernt. Dies ist eine Distanz, die ein Goldbrauner Mausmaki noch überwinden kann. Mithilfe molekularer Methoden bestimmten die Forscher unter anderem die genetischen Unterschiede zwischen den Tieren der drei Studiengebiete.
Die Wissenschaftler fanden Hinweise auf unerwartet große genetische Unterschiede. "Trotz der geringen geographischen Distanz zwischen den Gebieten scheinen die Tiere zwischen den Gebieten nicht oder nur sehr selten zu wandern. Wir vermuten, dass die Tiere dazu tendieren, in ihrem bekannten Habitattyp, Waldrand oder Waldinneres, zu bleiben", sagt Radespiel.
"Diese Studie gibt damit erste Hinweise auf molekulare Auswirkungen von Habitaträndern auf einer kleinen räumlichen Skala. Falls sich diese Befunde in einer größeren Studie bestätigen, hätte dies weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis von Evolutionsprozessen", erläutert Radespiel.
"Zum Beispiel würde das bedeuten, dass Tierarten sich lokal stärker als bisher angenommen anpassen könnten. Wenn Tiere sich wegen ihrer lokalen Präferenzen in Habitatfragmenten nicht frei bewegen, führt dies auch zu einer zusätzlichen Unterteilung von bereits kleinen Populationen, die dadurch vermutlich noch anfälliger werden für zufällige oder menschliche Störungen.“ Das wiederum hätte zur Folge, dass Naturschutzbemühungen neu durchdacht werden müssten.
(Veröffentlicht: 20. Juli 2018)