In einem interdisziplinären Projekt untersuchte ein Team unter Leitung von apl. Professorin Dr. Ute Radespiel, Institut für Zoologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), und Professor Dr. Hermann Behling, Abteilung Palynologie und Klimadynamik der Georg-August-Universität Göttingen, den Einfluss von Umweltveränderungen über die letzten 25.000 Jahre auf die Tierwelt von Madagaskar. In der Zeitschrift Communications Biology berichten sie in einem am 15. September 2021 veröffentlichten Artikel, dass der Rückgang madagassischer Wildtiere im Norden der Insel bereits erheblich war, bevor Menschen Einfluss darauf nahmen.
Madagaskar besonders gut für die Studie geeignet
Auf Madagaskar leben viele Tier- und Pflanzenarten, die nur dort vorkommen. Darum eignet sich die Insel besonders gut, um in einem regional begrenzten Gebiet zu untersuchen, welche Einflüsse wie auf Tierarten und Populationen wirken. So gehen Forschende beispielsweise davon aus, dass in der Vergangenheit vor allem Klimaveränderungen dafür verantwortlich waren, dass sich Lemuren in den Wäldern auf unterschiedliche Lebensräume verteilten und sich zu getrennten Arten entwickelten. Lemuren gehören zu den Primaten. Sie kommen ausschließlich auf Madagaskar vor. Über die Klima- und Umweltveränderungen, die vor über 10.000 Jahren in Madagaskar stattgefunden haben, war bisher sehr wenig bekannt. Das Forschungsteam hat auf der Insel darum in einem definierten Untersuchungsgebiet zwei unterschiedliche Aspekte beleuchtet und kombiniert: Die Umweltveränderungen auf Madagaskar innerhalb der letzten 25.000 Jahre und die Entwicklung einer im Wald lebenden Lemurenart im selben Zeitraum.
Untersuchungsobjekt Mausmaki Microcebus arnholdi
TiHo-Doktorandin Helena Teixeira untersuchte in den immergrünen Feuchtwäldern des Montagne d'Ambre Nationalparks (NP) im Norden Madagaskars stellvertretend für andere Tierarten die Mausmakiart Microcebus arnholdi. Sie nahm Gewebeproben, extrahierte die DNA, und modellierte die demographischen Schwankungen der Lemuren über die Zeit mit Hilfe genomischer Daten. Im selben Jahr bohrte Dr. Vincent Montade aus der Arbeitsgruppe von Hermann Behling im selben Gebiet Sedimentkerne aus mehreren vulkanischen Seen (Maarseen). Sie liefern natürliche Aufzeichnungen über die lokale und regionale Umwelt- und Klimadynamik bis ins späte Pleistozän, das vor über 2,5 Millionen Jahren begann und vor etwa 11.700 Jahren endete. Anschließend analysierten, interpretierten und kombinierten sie die genomischen und paläoökologischen Daten. Die paläoökologischen Daten setzen sich aus Analysen von Pollen und der Gesteinskörnung sowie anorganisch-geochemischen Untersuchungen zusammen. Sie zeigten, dass es in den vergangenen 25.000 Jahren im nördlichen Madagaskar fünf Hauptperioden mit Umweltveränderungen gab. So endete laut der Analysen vor etwa 5.500 Jahren eine auch von Kontinental-Afrika bekannte Feuchtperiode. Die Niederschläge wurden weniger und die Vegetation rund um den Nationalpark entwickelte sich in eine offene Graslandschaft, in der es insbesondere seit 900 Jahren auch häufig zu Bränden kam. Menschen besiedelten Madagaskar erst vor 1.000 bis 2.000 Jahren. Die Forscherinnen und Forscher gehen in ihrer Veröffentlichung deshalb davon aus, dass sie die Lebensräume vorher nicht nennenswert beeinflussten und die von ihnen beschrieben Veränderungen auf natürliche klimatische Einflüsse zurückzuführen sind.
Genomische Untersuchungen
Die Forscherinnen und Forscher nutzen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im genetischen Code der Tiere in Kombination mit geschätzten Mutationsraten und Generationsdauern, um die zurückliegende Entwicklung der Populationen zu modellieren. Die verschiedenen genomischen Untersuchungen des Arnhold-Mausmakis zeigten, dass sich die Populationsgrößen in den vergangenen 25.000 Jahren mehrfach stark veränderten. Auf einen Populationsrückgang während der letzten kühl-trockenen Eiszeit folgte eine deutliche Zunahme während der afrikanischen Feuchtperiode. Ein starker Populationsrückgang begann laut dem Forschungsteam in den letzten 5.000 Jahren, als es zunehmend trockener wurde. Im letzten Jahrtausend, also mit verstärktem Eingreifen des Menschen, hat sich der Rückgang noch verstärkt. „Unsere Studie zeigt, dass der Rückgang der madagassischen Wildtiere im Norden bereits erheblich war, bevor der Einfluss des Menschen auf die Insel einsetzte, und bringt neue Erkenntnisse darüber, wie Umweltveränderungen in der Vergangenheit die heutigen Biodiversitätsmuster in tropischen Regionen geprägt haben“, sagt Radespiel.
Die Originalpublikation
Past environmental changes affected lemur population dynamics prior to human impact in Madagascar
Helena Teixeira, Vincent Montade, Jordi Salmona, Julia Metzger, Laurent Bremond, Thomas Kasper, Gerhard Daut, Sylvie Rouland, Sandratrinirainy Ranarilalatiana, Romule Rakotondravony, Lounès Chikhi, Hermann Behling, Ute RadespielCommunications Biology
DOI: https://doi.org/10.1038/s42003-021-02620-1
(Veröffentlicht am 15. September 2021)