Auch in diesem Jahr haben drei junge Professoren der Leibniz Universität Hannover (LUH) einen international begehrten "ERC Starting Grant" erhalten. Mit den Starting Grants fördert der Europäische Wissenschaftsrat exzellente und visionäre Forschung von herausragenden Nachwuchswissenschaftlern mit jeweils bis zu 1,5 Millionen Euro. Ziel ist die Unterstützung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit durch den Aufbau einer eigenen Forschungsgruppe in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren. Bewerben können sich Wissenschaftler, deren Promotion zwei bis sieben Jahre zurückliegt.
Geförderte
Die Geförderten der LUH sind Prof. Dr. Natalia Tschowri (Institut für Mikrobiologie), Prof. Dr. Marius Lindauer (Institut für Informationsverarbeitung) und Ass. Prof. Dr. Catherine Herfeld (derzeit Universität Zürich; an der LUH angesiedelt im Institut für Philosophie).
Forschung an Signalmolekülen: Interaktion zwischen lebenden Zellen und ihrer Umwelt
Im Projekt "SecMessFunctions" wird Prof. Dr. Natalia Tschowri die Funktion und Regulation von neuartigen sekundären Botenstoffen erforschen. "Diese sind wichtige Signalgeber in der Interaktion von allen lebenden Zellen mit ihrer Umwelt, doch ihre Funktionsweisen sind kaum verstanden", sagt Tschowri. Unter Verwendung von antibiotika-produzierenden Streptomyces-Bakterien als Modell widmet sich das Projekt der Frage, wie diese Signalmoleküle komplexe Zelldifferenzierungen beim Übergang von Ein- zu Vielzelligkeit sowie Veränderungen der Zellwand in Bakterien steuern. In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Russell Cox vom Biomolekularen Wirkstoffzentrum (BMWZ) der LUH wird Tschowri untersuchen, ob mittels dieser Botenstoffe die Synthese von bioaktiven Naturstoffen optimiert werden kann. "Insgesamt wird SecMessFunctions nicht nur zur Entdeckung grundlegender neuer Prinzipien der Signalübertragung führen, sondern auch neue Ziele für Wirkstoffdesign und Werkzeuge zum Modulieren der Antibiotika-Biosynthese identifizieren", so Tschowri, die seit 2020 die Professur für Zelluläre Mikrobiologie an der LUH inne hat.
KI-Entwicklung: der Mensch im Mittelpunkt
Die Entwicklung von modernen Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) schreitet immer schneller voran und kann durch Techniken des Automatisierten Maschinellen Lernens (AutoML) inzwischen auch für Laien verfügbar gemacht werden. "Allerdings wird dabei der Mensch als Experte sowohl für die Technik als auch für deren Anwendung weitgehend außen vor gelassen", sagt Prof. Dr. Marius Lindauer, in dessen ERC-Starting-Grant-Projekt "ixAutoML" es deshalb darum geht, den Menschen wieder in den Mittelpunkt der Entwicklung zu stellen. Dabei werden sowohl die Expertise als auch die Präferenzen der KI-Anwendungsentwickler berücksichtigt, und es wird darüber hinaus neues Wissen über KI-Entwicklung an diese zurückgespielt. "Damit ergänzen sich die Erfahrungen von Menschen und Maschinen bestmöglich, um für vielseitige Problemstellungen effiziente Lösungen zu finden", so Lindauer, der seit 2019 Professor für maschinelles Lernen an der LUH ist.
Wissenschaftstheoretische Fragen: Überschreiten von Disziplingrenzen
Das Projekt "Model Transfer" von Ass.-Prof. Dr. Catherine Herfeld befasst sich mit der Frage, ob und unter welchen Bedingungen wissenschaftliche Modelle über Disziplingrenzen hinweg verwendet werden können, um Erkenntnisse über fundamental voneinander verschiedene Phänomene zu erzielen. "Die Tatsache, dass das bekannte Lotka-Volterra-Modell nicht nur Räuber-Beute-Beziehungen in der Biologie abbildet, sondern auch für die Erklärung von Konjunkturzyklen in den Wirtschaftswissenschaften sowie des Wachstums von Krebszellen in der Medizin verwendet wird, eröffnet neue Perspektiven auf das Wesen sowie die Funktionen von wissenschaftlichen Modellen", sagt Herfeld. Darüber hinaus befasst sich das Projekt mit wissenschaftstheoretischen Fragen zur Beziehung zwischen wissenschaftlicher Modellierung und Fortschritt in der Wissenschaft. Es kombiniert quantitativ-empirische Methoden der Sozialwissenschaften und traditionelle Ansätze der Wissenschaftsgeschichte und -philosophie, um Beispiele von Modelltransfer empirisch, systematisch und begrifflich zu untersuchen. Herfeld ist seit 2017 Assistenzprofessorin an der Universität Zürich und wird mit dem ERC Grant jetzt eine Forschungsgruppe an der LUH aufbauen.
Ritterschlag der europäischen Wissenschaftsgemeinschaft
Außer den drei neu Geförderten forschen derzeit sieben weitere Wissenschaftler mit einem ERC Starting Grant sowie je ein Wissenschaftler mit einem ERC Consolidator Grant (für Forschende, deren Promotion zwischen sieben und zwölf Jahren zurückliegt) und einem ERC Advanced Grant (für Forschende mit einem langjährigen herausragenden wissenschaftlichen Lebenslauf) an der Leibniz Universität Hannover. Die ERC Grants gelten wegen des harten Auswahlverfahrens als Ritterschlag der europäischen Wissenschaftsgemeinschaft. Wichtige Auswahlkriterien sind, wie visionär die Forschungsfragen sind und welche exzellenten Leistungen die Antragstellenden bisher erbracht haben.
(Veröffentlicht: 10. Januar 2022)