WIR2.0-Kleinprojekte
Erfolg für das (post-)migrantische Collecting Dreams Festival
Der Verein Prisma Queer Migrants e.V. realisierte erfolgreich das erste (post-)migrantische Literaturfestival in der Landeshauptstadt. In Rahmen des Festivals wurde in einer Podiumsdiskussion über die Hindernisse von postmigrantischen Kulturschaffenden gesprochen.
Vom 08. bis zum 10. September 2023 fand in Hannover das erste postmigrantische Literaturfestival statt. Organisiert wurde es vom Postmig Writers Collective. Das Kolletkiv geht aus dem Verein Prisma Queer Migrants e.V. hervor und besteht aus People of Color (PoC), Muslim*innen, Jüdinnen und Juden, Menschen mit Migrationserbe und insbesondere aus Menschen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind. Die Organisator*innen verfolgten das Ziel, mit dem Festival eine Bühne für die postmigrantische Gesellschaft in Hannover zu schaffen. „Wir wollen andere Perspektiven feiern. People of Color werden häufig nur als Aktivist*innen und nicht als Autor*innen gesehen. Sie werden überwiegend mit politischen Fragestellungen konfrontiert, doch das künstlerische geht verloren. Eure Geschichten sind für uns alle interessant“, erklärte Kadir Özdemir, Schriftsteller und Vorstandsmitglied des Vereins Prisma Queer Migrants e.V.. Außerdem bezwecke das Festival eine Vernetzung, die über das Festival hinausgehen soll, und den Aufbau einer Community.
Das „Collecting Dreams Festival“ wurde mithilfe der Förderung durch das Kulturbüro der Landeshauptstadt Hannover (LHH), der Kleinprojektförderung des „WIR2.0“ und weiteren Förderungen in den Räumen von „UNTER EINEM DACH“ realisiert. Die Auftaktveranstaltung war gut besucht. Es habe keinen einzigen freien Platz mehr gegeben, berichtet Mitorganisator Kadir Özdemir. „Die Kombination der Lesungen und der Diskussion mit den Gäst*innen Kübra Gümüşay, Hadija Haruna-Oelker und Leyla Ercan war sehr gelungen“, schwärmt der Initiator des Festivals. Das Programm des Festivals bestand aus Lesungen, Diskussionen, einem Konzert, Creative writing, Performance- und Awareness-Workshops, Erzählbühnen, der Dauerausstellung „Den Sterbenden an unseren Grenzen“ sowie einer abschließenden Podiumsdiskussion.
In dieser Runde diskutierte Kadir Özdemir mit Inga Samii (Leiterin des Fachbereiches Kultur der LHH) und Türkan Deniz-Roggenbuck (Journalistin, Diversity-Trainerin und Sozialmanagerin). Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Mariel Reichard. Zu Beginn ging es um die Möglichkeiten von Förderungen im Kulturbereich. Um ein bestehendes Problem in der Förderstruktur zu verdeutlichen, nannte Özdemir ein allgemeines Beispiel von außerhalb des Kulturbereiches: „Unser Verein macht in erster Linie queere Arbeit, doch wenn wir uns um Förderungen für unsere queere Arbeit bemühen, wurde uns mehrfach mitgeteilt, dass wir Migranten sind und dass wir uns für die Förderung zum Thema Migration bewerben sollen, da die Mittel für queere begrenzt seien. Im Kulturbetrieb gibt es natürlich auch Menschen, die uns als Kulturschaffende wahrnehmen, aber parallel dazu wird unsere kulturelle Arbeit, die wir leisten, als eine sozialpädagogische angesehen.“ Daher komme eine Kulturförderung nicht immer infrage.
„Postmigration bedeutet alles, was nach einer Migration passiert. Es ist ein Prozess, den die Gesellschaft nach einer Migration durchläuft. Hierbei wird keine neue Nische eröffnet. Es ist keine Nischen- oder Schubladenkultur. Ich finde es schwierig, dass Förderprogramme oder Förderungen speziell für eine Nische freigegeben werden“ erläuterte Türkan Deniz-Roggenbuck.
„Wenn ich mich umschaue, sind wir nicht sonderlich divers besetzt. Wir sind eine Einwanderungsstadt, viele junge Menschen unter 18 Jahren haben einen Migrationshintergrund, doch das sollte sich auch in der Verwaltung spiegeln. Das ist das Next-Level, doch wir brauchen Zeit, dass sich das entwickelt“, erklärte Inga Samii. Diversity-Trainerin Deniz-Roggenbuck hinterfragte diese Aussage: „Eine Verwaltung sollte die Diversität der Gesellschaft spiegeln, doch wenn ich das Personal noch nicht habe, bedeutet es für mich, mit diesen Themen progressiv herauszugehen“. „Es kann nicht nochmal 20 Jahre dauern! Was können wir heute tun, damit es morgen schon besser wird?“, fragte Özdemir. Daraufhin erklärte Inga Samii, dass in der LHH bereits einiges passiert sei und dass sich mit dem Kulturentwicklungsplan, der bis 2030 umgesetzt werden solle, noch einiges verändern werde. Ein Fokus sei die Einstellung von Personen, die eine andere Perspektive verträten. Außerdem würden Maßnahmen geschaffen, die den Blick auf die postmigrantische Gesellschaft ausweiteten. Türkan Deniz-Roggenbuck lobte die Pläne der Landeshauptstadt in Hinblick auf die geplante Arbeit mit der postmigrantischen-Community und hob hervor, dass andere Städte bislang noch nicht so weit seien. „Institutionen sollten sich Personen, wie mich und andere leisten, die diese Prozesse durchlaufen und die diese Curricula entwickeln“, präzisierte die Diversity-Trainerin. Laut Fachbereichsleiterin Samii ist ein Problem dabei, dass es an Bewerbungen von Personen mangele, die Vielfalt einbringen könnten. Türkan Deniz-Roggenbuck ergänzte, dass es nicht ausreiche, dass das Personal optisch eine Diversität widerspiegeln würde. „Man muss auch außerhalb der Box einstellen“, betonte die Diverstiy-Trainierin und fordert die Sensibilisierung aller Mitarbeitenden.
Im weiteren Diskussionsverlauf erzählte Özdemir, dass Theaterstücke von etablierten Kulturhäusern abgelehnt würden, weil sich diese Stücke außerhalb der eurozentrischen Sicht befänden.
„Jeder große Verlag hat mittlerweile Literatur vorliegen, die man als postmigrantisch bezeichnen könnte. Da tut sich ganz viel“, sagte Mariel Reichard und fragte, ob es sich bei der Veränderung der Verlagsgesellschaft um eine langfristige Veränderung oder einen Trend handele. „Ich bin optimistisch, dass das kein Trend ist“, antwortete Schriftsteller Kadir Özdemir und verwies auf das neue Publikum, das durch die Veränderung in der Verlagsgesellschaft angesprochen werde.
„If you don’t get a seat at the table,you have to start your own table“ – mit diesem Zitat aus dem Publikum wurde eine abschließende Frage diskutiert: „Braucht es Parallelstrukturen, damit eigene Förderstiftungen, Verlage und vieles mehr geschaffen werden?“ Die Podiumsdiskutant*innen waren sich einig, dass Parallelstrukturen für mehr Diversität im Kulturbereich gebildet werden könnten.
Mit abschließenden Worten bedankte sich Kadir Özdemir bei der Verwaltung und lobte die Entwicklungen, die bereits gemacht wurden und die künftig geplant sind. Er bedankte sich außerdem bei dem Organisationsteam, allen Unterstützer*innen und Teilnehmenden des Festivals. Dabei schwärmte er von den zahlreichen Texten, die in den Workshops entstanden seien. „Das Festival hat mir Mut und Hoffnung gegeben, dass die Gesellschaft sich auf einem guten Weg befindet“, so Özdemir abschließend.