Berufliche Lehrkräfte sind digital kompetent, arbeiten souverän mit digitalen Endgeräten und fühlen sich durch das digitale Unterrichten nicht außergewöhnlich gestresst. Ihre größte Herausforderung während der Pandemie: Häufig mangelt es in Beruflichen Schulen an einer stabilen IT-Infrastruktur, zum Beispiel einer guten WLAN-Verbindung. Zu diesen Erkenntnissen gelangt ein Forschungsteam in einer deutschlandweiten Studie, die jetzt vom Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung e.V. (BvLB) veröffentlicht wurde. Für die Studie kooperierte ein Verbund mit Forschenden der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, der Leibniz Universität Hannover (LUH), der Universität Osnabrück sowie der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd.
Erste bundesweite Erhebung in Beruflichen Schulen
„Bei der Studie handelt es sich um die erste bundesweite Erhebung unter Lehrerinnen und -lehrern an beruflichen Schulen zum Thema digitale Transformation“, betont der Sprecher des Forschungsteams Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz. Er hat die Professur für Wirtschaftspädagogik an der Universität Bamberg inne und ging mit Prof. Dr. Julia Gillen (LUH) sowie Prof. Dr. Uwe Fasshauer, Schwäbisch-Gmünd, und Prof. Dr. Thomas Bals, Osnabrück, in einer Umfrage insbesondere den Fragen nach: Wie kamen berufliche Lehrkräfte durch die Pandemie? Welche Potentiale sehen sie im digitalen Unterrichten und Organisieren? Und wie steht es um die digitale Kompetenz von beruflichen Lehrkräften? Für die Studie „Erfahrungen und Perspektiven des digitalen Unterrichtens und Entwickelns an beruflichen Schulen“ (Digi-BS) wurden 3074 berufliche Lehrkräfte in Deutschland zwischen Dezember 2020 und März 2021 befragt.
Schlüsselfaktor technische Infrastruktur
„Die technische Infrastruktur ist ein Schlüsselfaktor, um die digitale Kompetenz von Lehrkräften weiter zu stärken und das subjektive Stresserleben zu reduzieren“, stellt Karl-Heinz Gerholz als zentrales Ergebnis der Studie heraus. Die Studie zeigt, dass eine stabile und nachhaltige IT-Infrastruktur an den Schulen noch nicht in der Breite vorhanden ist, wie sie eigentlich benötigt wird. Insbesondere WLAN-Verfügbarkeit und -stabilität sowie Support und passgenaue Weiterbildungsangebote fehlen.
Pandemie hat digitale Ausstattung enorm beschleunigt
Davon abgesehen zeichnet die Studie ein eher positives Bild der digitalen Veränderung an Beruflichen Schulen: Die Pandemie hat die digitale Ausstattung, etwa mit Tablets und Laptops, enorm beschleunigt. Berufliche Lehrkräfte haben die Phasen des Distanzunterrichts und hybriden Unterrichtens erfolgreich gemeistert. Sie verfügen unter anderem über eine ausgeprägte digitale Kompetenz, sind neugierig hinsichtlich digitaler Technologien und können digitalen Unterricht insbesondere auch im Austausch mit dem Kollegium gut umsetzen. Unterstützung wird also wesentlich vor Ort in den Beruflichen Schulen erlebt, die der Bildungsverwaltung wird als eher begrenzt wahrgenommen. Diese positiven Erfahrungen im Umgang mit den Herausforderungen der Pandemie, so der Mitautor Thomas Bals, „bestätigen erneut die Notwendigkeit einer umfassenden Autonomie der Beruflichen Schulen bei der Erfüllung ihres Bildungsauftrages.“
Zunehmende Überschneidung von Arbeit und Freizeit
Arbeit und Freizeit überschneiden sich zunehmend, was die befragten Lehrkräfte nicht als besonders belastend erleben. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass das Stresserleben normal ist. Es ist davon auszugehen, dass das digitale Arbeiten zwar manchmal mit Stressempfinden einhergeht, dieses allerdings nicht wesentlich negativer und belastender als üblich wahrgenommen wird. Dieses Ergebnis ist für die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überraschend vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion um digitales Lernen und den damit zusammenhängenden Herausforderungen. „Berufliche Lehrkräfte haben die Herausforderungen in der Pandemie erstaunlich gut bewältigt und können somit als ‚Hidden Champions der Pandemie‘ beschrieben werden“, sagt Karl-Heinz Gerholz.
Die Studie macht in diesem Zusammenhang jedoch auch folgenden Zusammenhang deutlich: War die technische Ausstattung gut und haben Lehrkräfte eine digitale Selbstwirksamkeit, war ihr Stressempfinden gering. Schlechte technische Ausstattung führte dagegen zu sehr hohem Stressempfinden und persönlicher Überlastung.
Neue Arbeitsmodelle in der digitalen Transformation
Zudem leiten die Forschenden aus ihrer Studie ab, dass im Zuge der digitalen Transformation auch die Arbeitsmodelle von Lehrkräften in den Blick genommen werden müssen. „Wenn Unterricht und schulische Arbeit zunehmend in hybriden Räumen stattfinden, ist das Präsenzstundenmodell an der Schule nicht mehr zeitgemäß“, sagt Karl-Heinz Gerholz. „Die sich verändernden Verantwortungsbereiche von Lehrkräften müssen in den Arbeitsmodellen stärker berücksichtigt werden.“ Dies zu beforschen, ist das nächste Ziel der Forschungsgruppe.
(Veröffentlicht: 24. Februar 2022)