Der Bauch von Hannover

Zehn Fakten über Hannovers Markthalle, die nicht jeder kennt

Vom Beginn im Jahr 1892, über die Zerstörung im Jahr 1943, bis hin zum heutigen Tag ist die Markthalle ein Zeitzeuge der jüngeren Historie Hannovers – und hält selbst so manche überraschende Geschichte parat.

Hannovers erste Markthalle: Gold, Marmor und ein Wasserdruck-Aufzug

Am 18. Oktober 1892 ging die erste Markthalle in Hannover nach nur zwei Jahren Bauzeit feierlich in Betrieb. Der hannoversche Architekt und Stadtinspektor Paul Rowald hatte das architektonische Schmuckstück mit Spitzdach und dekorativen Ecktürmen nach dem Vorbild der eindrucksvollen "Galerie des Machines" entworfen, die 1889 auf der Weltausstellung in Paris zu sehen war.

Die Markthalle von Hannover um 1892.

 

Kein Platz mehr für Handkarren und Pferdewagen

Zum Ende des 19. Jahrhunderts karrten die Bauern auf dem Lande Obst, Gemüse, Fleisch und Wurst mühsam in die Stadt und verkauften dieses dann auf öffentlichen Marktplätzen wie etwa auf dem Altstädter Marktplatz an der Marktkirche. Bereits 1875 war Hannover eine Großstadt mit rund 100.000 Einwohnern, und diese Zahl erhöhte sich rasant mit jedem Jahr. Gleiches galt für die Zahl der Markthändler: "Damals drängten sich an Markttagen, immer dienstags und samstags, von der Steintorstraße bis zum Aegi und rund um die Marktkirche über 2200 Verkäufer. Hunderte von Bauernfahrzeugen, Leiterwagen und Zugtieren verstopften die Straßen. Allein in der Osterstraße parkten 314 Fahrzeuge. Fleisch- und Wurstwaren litten unter den Witterungsverhältnissen. Die Folgen: atemberaubender Gestank und Chaos – an Lebensmittelkontrollen war nicht zu denken! Bürgereingaben und ein Schreiben der ‚Königlichen Polizeidirektion’ im Jahre 1888, in dem ‚unhaltbare Verkehrsstörungen an den Markttagen’ beklagt wurden, veranlassten schon sechs Wochen später die Stadt, den Bau einer Markthalle zu beschließen." (aus: markthalle-in-hannover.de).

Damals gehörte zur Markthalle auch ein Hühnerstall

Hannovers erste städtische Markthalle war seinerzeit der größte Stahl- und Glasbau des damaligen deutschen Kaiserreichs mit einer Länge von 84 Metern, einer Breite von 48 Metern und einer Höhe von etwa 20 Metern. Die Kosten dafür beliefen sich auf 1.730.398 Mark inklusive Grundstücke und von der Stadt eingebrachter Flächen – darunter auch das ehemalige "Kramer Amtshaus" in der Leinstraße 20 und einige ansehnliche Bürgerhäuser in der Köbelingerstraße, die für den Bau niedergerissen wurden. Auf rund 4.000 Quadratmetern boten zu Beginn 243 Händler ihre Waren feil, die bis 1929 auch auf den Gleisen der hannoverschen Straßenbahnbetriebe Üstra an der Südseite der Markthalle angeliefert wurden. Wie das Markthallen-Magazin "Gourmet Guide" in seiner 6. Auflage 2019/2020 schreibt, gehörten damals zur Markthalle noch einige Nebengebäude wie ein Wirtschaftsgebäude (132,50 Quadratmeter), ein Abortsgebäude (50,62 Quadratmeter), ein Pissoir (10,81 Quadratmeter) und – heute undenkbar – ein fast zwölf Quadratmeter großer, zweigeschossiger Hühnerstall.

Gold, Marmor und ein Wasserdruck-Aufzug

Wie es im Innern des prachtvollen und überdachten Marktplatzes im Herzen von Hannover einst aussah und zuging, das beschreibt sehr anschaulich der kurze geschichtliche Rückblick auf der Webseite der heutigen Markthalle: "Der [...] große Jugendstilbau aus buntem Glas und Eisen war außen reich verziert und in Rotbraun und Gelb – mit einem Schuss Gold – gestrichen, innen in kräftigem Blau, das sich frisch von dem weiß gefliesten Fußboden abhob. Modernste technische Errungenschaften hielten Einzug: elektrische Lichter und Uhren sowie ein Wasserdruck-Fahrstuhl, der vom Keller bis zur Galerie fuhr. [...] Der Mittelgang war so breit, dass Fuhrwerke und Karren durchfahren konnten, um die Stände zu beliefern. Das Knallen mit der Peitsche war aber laut Marktordnung verboten!"

Virtueller Wiederaufbau auf Youtube

Alte Pracht, eingebettet in ein modernes Stadtumfeld: Die Alte Markthalle in Hannover existiert seit 2011 als 3-D-Film. Auf Anregung des Vereins für hannoversche Stadtbaukultur hat ein Ausbildungsteam der Firma Virtual Pix eine dreidimensionale Rekonstruktion des Prachtbaus erstellt und dazu auch einen Film bei Youtube veröffentlicht.

Virtueller Wiederaufbau der historischen Markthalle

https://www.youtube.com/watch?v=C9wOJt-sIww (Hinweis: Aus Datenschutzgründen verlinkt hannover.de nicht direkt in soziale Medien)

Die ersten Markthallenstände waren Käfige 

Die erste städtische Markthalle in Hannover öffnete am 18. Oktober 1892 ihre Tore – an genau jener Stelle gegenüber der Altstadt, wo heute sich das kantige Gebäude der neuen Markthalle befindet. In seinen Anfangsjahren stand der repräsentative Jugendstilbau mit den schmucken Ecktürmen noch voller Käfige: Die einfachen Markthallenstände der fast 250 Verkäufer aus Stadt und Land waren rundum vergittert, um Diebe und tierische Räuber fernzuhalten.

Schick war’s nicht, aber trocken und sicher

Treiben in der Leinstraße vor der Halle, Ansichtskarte Serie 98, Nr. 13 von Knackstedt & NätherVon anonymous, differents - Scan vom Original: Bernd Schwabe in Hannover,CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19893867

Wer heute durch Hannovers Markthalle schlendert, sieht modern eingerichtete Stände mit offener Küche, hell ausgeleuchteten Verkaufstresen und herausgeputzten Theken, die prall gefüllt sind mit appetitlich angerichteten und frisch zubereiteten Leckerbissen. Es gibt überall Stehtische, Sitzbänke und Stühle für ein genussvolles Beisammensein zum Frühstück, für die Mittagspause und nach der Arbeit. Alles ist offen, blitzblank und adrett, und jeder Stand lädt ein zum Verweilen. Das war nicht immer so. Erst recht nicht in den Jahren nach der Eröffnung der ersten Markthalle zu Hannover. Damals, zum Ende des 19. Jahrhunderts, als rund 200.000 Menschen in Hannover und Linden lebten (1910 waren es schon 302.375 Einwohner!), boten die Verkäufer auf dem Wochenmarkt ihre Waren unter freiem Himmel an und ihre Handkarren und Fuhrwerke standen kreuz und quer und versperrten die Gehwege, Straßen und Zugänge zu den Häusern. Ein chaotisches Treiben und auf Dauer unzumutbare Zustände, die mit dem Bau einer städtischen Markthalle ein Ende haben sollten. 

Drahtgitter als Schutz gegen Katzen

Fortan hatten die Händler zwar ein schützendes Dach über dem Kopf und nicht mehr mit Wind und Wetter und katastrophalen hygienischen Umständen zu kämpfen, dafür jedoch mit Langfingern und anderen ungebetenen Gästen. Wie die Situation damals war, das lässt sich in der Geschichte der hannoverschen Markthalle nachlesen (aus: http://www.der-bauch-von-hannover.de/p_historie): "Und wie sahen die Stände aus? Sie waren schlicht, teils hölzern und zum Schutz gegen Katzen rundum mit einem abschließbaren Drahtgitter versehen. Die Blumen- und Fischstände waren weiß gefliest und die mit Marmor ausgekleideten Wasserbecken besaßen einen Zu- und Ablauf. Schon im Morgengrauen kamen die Händler mit ihren großen Körben und Kiepen zu Fuß oder mit dem Fahrrad und verkauften ihre Produkte vom Feld, aus dem Garten und Stall an die Standbetreiber. Milch und Pferdefleisch durften nicht verkauft werden und auch der Ausschank „geistiger Getränke” war untersagt."

Als die Stadt Hannover Notvorräte in den Kühlräumen der Markthalle lagerte

Beim Bau der ersten städtischen Markthalle in Hannover entstanden im Keller auch Räume zur kühlen Lagerung von Lebensmitteln. 1909 erhielten die unterirdischen Gefrierkammern eine elektrische Kühlanlage und bereits zwei Jahre später ließ die Stadt sie erweitern, um in Zeiten der Not unter der Markthalle Getreide und Lebensmittel für die Bevölkerung einzulagern.

Blick in die Markthalle zu Zeiten des ersten Weltkriegs (1914-1918).

Zwei fleischlose Wochen pro Monat

In den Jahren des Ersten Weltkrieges von 1914 bis 1918 hatten auch die damals fast 300.000 Bewohner von Hannover mit Lebensmittelknappheit und der ungleichen Verteilung von Nahrungsmitteln zu kämpfen. Den von Mangel und Not geprägten Kriegsalltag in und um Hannover beschreibt der hannoversche Historiker Karl-Heinz Grotjahn in seinem Buch "Durchhalten bis zum Sieg": "Da tierisches Fett und Eiweiß fehlten, wurden Anfang November 1915 reichsweit zwei fleisch- und fettfreie Tage pro Woche eingeführt: Dienstags und freitags durfte kein Fleisch verkauft werden. Später kamen sogar zwei fleischlose Wochen pro Monat hinzu. Spezielle Kochbücher priesen fleischarmes Kochen an. Es zeigte sich aber, dass das Friedens-Ernährungsverhalten der Bevölkerung auf freiwilliger Basis schwer zu verändern ist. Wenn auch einige sparten, taten es viele nicht. Um den Verbrauch zu senken wurde deshalb Fleisch im August 1916 rationiert und nur auf Karte verkauft, Butter auf Karte gab es bereits seit März 1916."

Auch Steckrüben, Dörrgemüse und Eichelkaffee nur auf Lebensmittelkarten

Die Versorgungslage verschlechterte sich besonders im so genannten "Steckrübenwinter" (auch "Hungerwinter" genannt; gemeint ist damit eine durch kriegswirtschaftliche Versorgungsprobleme und eine Blockade der britischen Nordseeflotte verursachte Hungersnot im Deutschen Reich während des Winters 1916/17): "Neben den fehlenden Kartoffeln machte sich der allgemeine Mangel an Lebensmitteln immer deutlicher bemerkbar. Im Frieden hatte die Bevölkerung der Stadt Hannover pro Tag 120.00 Liter Milch zur Verfügung, Ende September 1916 waren es lediglich 40.000 Liter. Im September 1916 berichtete der hannoversche Stadtdirektor Tramm von zunehmenden Schwierigkeiten bei der Versorgung; es gebe überhaupt keine Milch mehr, Käse nur noch alle 14 Tage lediglich 12 Gramm, pro Woche ein Ei. Bei Brot oder Kartoffeln konnten wenigstens die ständig kleiner gewordenen Rationen ausgegeben werden. Die Stimmung der Bevölkerung würde gereizter. In der Markthalle Hannover ersetzten bereits Steckrüben die fehlenden Kartoffeln, die aber ohne Fett nicht zubereitet werden konnten", schildert der hannoversche Historiker Karl-Heinz Grotjahn die Zeit, in der selbst der "Bauch von Hannover" von Hunger geplagt war. Die Markthalle entwickelte sich zum Zentrum für städtische Verkaufsstellen von Grundnahrungsmitteln auf Marken wie Brot und Butter, Steckrüben und Dörrgemüse, Klippfisch und Miesmuscheln, Kunsthonig und Eichelkaffee.

Und dann kamen die Goldenen Zwanziger

Die Vorräte für die Notversorgung der Bevölkerung im Ersten Weltkrieg lagerte die Stadt in den zuvor erweiterten Kühlräumen unter der Markthalle. Das war mit dem Waffenstillstand von Compiègne bei Paris am 11. November 1918 und der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages am 28. Juni 1919 erfreulicherweise nicht mehr nötig. Mit dem Wirtschaftswachstum sollten schon sehr bald die "Goldenen Zwanziger Jahre" anbrechen. "Als es wieder aufwärts ging, war die ‚Speisekammer’ Hannovers wieder reich gefüllt und es ist gut vorstellbar, dass zwischen Schellfisch und Blumensträußen der hannoversche Witz entstanden sein könnte: ‚Ham’ Se Aale...?’ – ‚Nee, ich häöbe Zaat...!’“ (Quelle: http://www.markthalle-in-hannover.de/historie/).

In den Goldenen Zwanzigern gab es fast 500 Stände in der Markthalle

Die erste städtische Markthalle in Hannover war mindestens ebenso bildschön und groß wie ihr Vorbild, die "Galerie des Machines“ auf der Weltausstellung in Paris von 1889. Anlass für den größte Stahl- und Glasbau des damaligen deutschen Kaiserreichs war die Bestrebung, die über 2.000 Verkäufer auf dem Wochenmarkt in der nahen Altstadt samt ihren Fahrzeugen von der Straße zu bekommen und die entsetzlichen hygienischen Zustände zu beseitigen. Auf den rund 4.000 Quadratmetern im 84 Meter langen, 48 Meter breiten und 20 Meter hohen Jugendstilgebäude war Platz für genau 243 Markthallenhändler. 30 Jahre nach der Eröffnung am 18. Oktober 1892 hatte sich die Zahl der Stände bereits verdoppelt.

Stände in der Markthalle in den 1920er-Jahren.

Allein 179 Stände für Fleisch- und Wurstwaren

Natürlich war diese nun deutlich organisierte und kleinere Ansammlung von Ständen (die damals noch zum Schutz vor Langfingern und herumstreunenden Katzen vergittert waren) unter einem Markthallendach für damalige Verhältnisse ein großer Fortschritt und eine enorme Verbesserung der auf Dauer unzumutbaren Lage zuvor. Aber es ist schwer vorstellbar, dass die Atmosphäre dort ebenso angenehm und einladend war wie sie heute ist – insbesondere, wenn man bedenkt, dass sich die anfängliche Zahl von 243 Ständen sich in nur drei Jahrzehnten mehr als verdoppelt hatte. Das Markthallen-Magazin "Gourmet Guide" berichtet von 493 Ständen im Jahr 1928, darunter 179 Stände mit Fleisch- und Wurstwaren, 9 Stände mit Fischspezialitäten (zu denen übrigens auch die Familie Schweer gehörte, die sich regelmäßig mit ihrer Pferdekutsche von Steinhude auf den Weg in die Markthalle von Hannover machte, um dort ihren am Vortag im Steinhuder Meer gefangenen Fisch zu verkaufen), 156 Stände mit Obst- und Grünwaren, 21 Stände mit Blumen, 74 Stände für Eier, Butter und Käseprodukte sowie 54 Stände mit sonstigen Waren.

Grund für diesen rasanten Anstieg von Markthallenständen in nur drei Jahrzehnten war die ebenfalls rasante Entwicklung der Einwohnerzahl von Hannover: Nur drei Jahre nach der Eröffnung der ersten städtischen Markhalle im Herbst 1892 ergab die Volkszählung vom 2. Dezember 1895 eine Einwohnerzahl von 209.535, Ende 1919 waren es schon 321.200 und 1928 wohnten 438.00 Menschen in Hannover (Quelle: Stadt Hannover).

Früher wurde die Frische der Butter mit dem Daumennagel geprüft

Und so ging es in diesen Tagen in Hannovers Markthalle zu (aus: http://www.der-bauch-von-hannover.de/p_historie): "Kohlköpfe und Gemüse wurden zu beiden Seiten des Mittelganges fein säuberlich aufgeschichtet, frische Landeier gestapelt, Hasen und Rehe langgestreckt nebeneinander gelegt und das gackernde Geflügel der Kiepenleute in Kästen gesetzt. Und wer kaufte? Nicht nur Hausfrauen und Köchinnen, sondern auch die ‚faaneren Däömen’. [...] Weniger beliebt waren damals aber jene Madams, die von Buttertisch zu Buttertisch gingen und mit dem Daumennagel eine ‚Stich’-Probe nahmen, um so die Frische zu prüfen. Dies war um die Jahrhundertwende durchaus Brauch, bis hygienische Einwände erhoben wurden. Später nahm man eine Haarnadel, die man aus dem ‚Dutt’ zog, bis auch das moniert wurde. Das Pfund grobe Mettwurst war damals für 1 Mark zu haben, Leberwurst kostete nur 65 Pfennige."

In nur einer Stunde wird die alte Markthalle zerstört

Als Hannovers erste städtische Markthalle am 18. Oktober 1892 eröffnete, war sie die größte Stahl- und Glasbaukonstruktion im damaligen Kaiserreich. Den überdachten Marktplatz im Herzen der Stadt hatte der hannoversche Architekt und Stadtinspektor Paul Rowald der "Galerie des Machines" nachempfunden, die 1889 auf der Weltausstellung in Paris zu sehen war. Zwei Jahre dauerte der Bau – im Juli 1943 wurde das prachtvolle Jugendstilgebäude bei einem Bombenangriff komplett zerstört.

In nur einer Stunde war alles vorbei

Der Angriff im Zweiten Weltkrieg war ebenso schnell wieder vorbei wie er kam: Am 26. Juli 1943 um 11.48 Uhr griffen US-Bomber die Innenstadt von Hannover an. Bei dem völlig überraschenden Luftschlag kamen 273 Menschen ums Leben, Häuser und Straßen in der gesamten Innenstadt lagen in Trümmern. "Keine Stunde dauerte der Angriff, aber er genügte, um das Zentrum in Schutt und Asche zu legen. Schwer beschädigt oder vollständig zerstört waren Oper, Altes Rathaus, die Marktkirche, Markthalle, Hauptbahnhof und Leineschloss, das Polizeipräsidium, Prinzenpalais und Wangenheimsches Palais. Auch das Café Kröpcke wurde von Bomben in Stücke gesprengt. Bauten, die zum Teil seit Jahrhunderten das Stadtbild von Hannover geprägt hatten. Manche Gebäude wurden nach dem Krieg wieder aufgebaut, andere blieben für immer verloren", schreibt die HAZ in einem Artikel vom 24. Oktober 2013

Stadtmodell 1945

Stadtmodelle im Neuen Rathaus

Das erschreckende Ausmaß der Zerstörungen zeigt übrigens eines der vier Stadtmodelle, die in der Kuppelhalle des Neuen Rathauses am südlichen Innenstadtrand von Hannover stehen. Die anderen drei Stadtmodelle zeigen die Stadt im Wandel der Zeit vom Mittelalter über die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg bis heute.

Die neue Markthalle entstand auf den Trümmern der alten

Viel blieb nicht übrig von Hannovers einst so imposanter erster städtischer Markthalle: verbogene Eisengerippe, zertrümmertes Gemäuer und die Keller mit den Kühlräumen. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lief der Marktbetrieb in der vollständig zerstörten Halle zunächst weiter mit provisorischen Verkaufsständen und Bretterbuden. Nur wenige Jahre später wurde die neue und heutige Markthalle auf den Trümmern ihres historischen Vorgängers gebaut.

Als die Markthallenhändler wieder Brot und Butter unter freiem Himmel verkauften

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts haben die Händler auf den Wochenmärkten in der Stadt noch ihre Waren kreuz und quer und bei jedem Wind und Wetter unter freiem Himmel verkauft. Mit dem Bau der ersten städtischen Markthalle in Hannover und ihrer Eröffnung am 18. Oktober 1892 sollten diese Unbequemlichkeiten und chaotischen Verhältnisse endlich ein Ende haben. Als im Juli 1943 das große Jugendstilgebäude bei einem Bombenangriff komplett zerstört wurde, standen die Markthallenhändler wieder ohne ein schützendes Dach über dem Kopf da.

Holzbude in den Trümmern der alten Markthalle.

Die Markthändler frieren in ihren Holzbuden

Erst ein über Jahrzehnt später, 1954, beschloss die Stadt Hannover den Bau einer neuen Markthalle. Eine Bürgerinitiative hatte sich dafür stark gemacht und 75.000 Unterschriften gesammelt. Der hannoversche Architekt Erwin Töllner plante nicht etwa eine moderne Version des prachtvollen Vorgängermodells, sein Entwurf war ein zweckmäßiges Gebäude, schlicht und gradlinig, an die vorherrschenden städtebaulichen Verhältnisse angepasst und schnell zu errichten. Besonders für Letzteres gab es dringliche Gründe.

"März 1955. Kalt ist es noch. Besonders für die Männer und Frauen, die auf eigene oder fremde Rechnung in der Markthalle Handel treiben. Wie Karoline Duhnsen, die in ihrer Lindhorster Bauerntracht seit der Jahreswende 1926/27 regelmäßig nach Hannover kommt, um am Stand von Schlachter Hardekopf Fleisch und Wurst zu verkaufen. Arbeiten von morgens um acht bis abends um sechs, zweimal pro Woche, aber dafür bekommt sie 100 DM und so einiges an „Deputat”. Das ist doppelt so viel wie vor dem Krieg. Die Markthalle – vorläufig ein Torso. Vor allem hat sie kein Dach und bei Regen läuft das Wasser bis in die unterirdischen Kühlräume. Die 70 Schlachter und 32 Bäcker, die Obst- und Gemüse-, Eier-, Butter- und Kolonialwarenhändler zittern in ihren Holzbuden, die dicht gedrängt in der Ruine stehen. Die hygienischen Zustände sind katastrophal. Aber damit wird es ja nun ein Ende haben. In ein paar Tagen sollen sie alle in ein festes Zelt umziehen, bis auf dem Gelände der alten, zerstörten Markthalle die neue errichtet ist." (Quelle: http://www.der-bauch-von-hannover.de/p_historie).

Weniger Platz für alle

Neun Monate später und nach nur 227 Arbeitstagen öffnet die "Neue Halle" am 14. Dezember 1955 endlich ihre Tore. Sie ist deutlich kleiner ausgefallen als ihr historischer Vorgänger, weil zeitgleich zum Bau die Karmarschstraße für den zunehmenden Automobilverkehr verbreitert werden musste. Statt wie einst auf rund 4.000 Quadratmetern tummeln sich die nach wie vor 243 Händler mit ihren Ständen und Tischen nun auf 2.230 Quadratmetern. Immerhin haben sie alle jetzt wieder ein Dach über dem Kopf, wenngleich flach und nicht mehr ganz so prachtvoll.

Die neue Markthalle wird in weniger als einem Jahr gebaut

Beim Luftangriff von US-Bombern zur Mittagszeit am 26. Juli 1943 wurden weite Teile der Innenstadt von Hannover und auch die Markthalle gegenüber der Altstadt zerstört. Nach Ende des zweiten Weltkrieges durfte der Marktbetrieb zunächst provisorisch wieder aufgenommen werden, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Anfang der 1950er Jahre sammelte dann eine Bürgerinitiative 75.000 Unterschriften für den Bau einer neuen Markthalle, mit dem schließlich 1954 begonnen wurde.

Die Markthalle im Jahr 1955.

Die "Neue Halle" ist schlicht und zweckmäßig

Der Architekt der neuen Markthalle ist ebenfalls ein Hannoveraner. Nach Erwin Töllners Plänen soll der kastenförmige Stahlskelettbau am Standort der zerstörten Markthalle errichtet werden, auf den nach dem Luftangriff im Zweiten Weltkrieg verbliebenen und mittlerweile über 60 Jahre alten Grundmauern und Kellergewölbe. Nach nur 227 Werktagen steht die "Neue Halle" (die von Einheimischen so schlicht wie ihre Erscheinung nur "Markthalle" genannt wird) für 2,755 Millionen Mark endlich und wird am 14. Dezember 1955 feierlich mit Feuerwehrkapelle und Schlüsselübergabe an den Oberstadtdirektor eröffnet. Das zweckmäßige Gebäude mit dem flachen Dach und der langen Fensterfassade bietet Platz für 243 Händler, oben auf der Galerie befinden sich 40 weitere Stände.

Buntes Treiben und ein guter Ausblick

Mit der Eröffnung der neuen Markthalle kehrt auch ein lebens- und liebenswertes Stück Normalität zurück in das verwundete Herz von Hannover (aus: http://www.der-bauch-von-hannover.de/p_historie): "Zur Einweihung der ‚Neuen Halle’ kommen viele Hausfrauen, schauen, prüfen und kaufen. ‚Ihre’ Halle ist klar, zweckmäßig und hell. Die große Glasfront zur Karmarschstraße bietet einen guten Ausblick. Gemütlich sitzt man an der Milchbar auf der Galerie oder in der Hallengaststätte. Bereits ab 4 Uhr werden die Stände über den rückwärtigen Hof beliefert. Hier steht eine weitere Halle, in der frühmorgens das Gemüse geputzt wird. Für Wild und Geflügel wurde ein eigener Schlachtraum gebaut. Die Fleischkontrolleure haben einen Extraraum. Marktschreier gibt es hier nicht. An den Ständen ist es dadurch ruhiger geworden. Geradezu hannöversch-‚vornäöhm’ die Geräuschkulisse aus Gesprächsfetzen, Kühlschranksummen, Klimpern von Groschen, Rattern der Ladenkassen. Tausenderlei Düfte locken. Das unmittelbare Nebeneinander der Waren begeistert die Markthallenbesucher: an einem Stand Wolle, Blusen, Pullover und nebenan Sauerkraut vom Fass, Seifen und Parfüm neben Konditorwaren, Fisch aller Sorten neben Hausmacher Wurst. Eine Fußpflegestation auf der Galerie und daneben ein Gewürzstand. Wurst und Käse können vor dem Kauf probiert werden. Über Qualität und Geschmack wird diskutiert. Karoline Duhnsen verkauft das Pfund Schweinebauchfleisch – am Morgen aus dem Schaumburger Land mitgebracht – für 2,07 DM. Der Rotkohl nebenan kostet 10 Pfennig. Einen Stand weiter zahlt man für 1 Pfund Salzheringe 62 Pfennig."

Nicht luxuriös, ehrlich, bodenständig

Im Vergleich zur alten Markthalle macht die "Neue Halle" besonders aus heutiger Perspektive einen betont funktionalen Eindruck, für städtebauliche Raffinessen aber war in der Nachkriegszeit einfach nicht das Geld da. Es kommt eben auch hier auf die inneren Werte an. "Vielen Hannoveranern ist ihre Markthalle lieb und teuer, auch wenn sie bei der Kriegszerstörung den Jugendstilglanz des Vorgängerbaus verloren hat. Vielleicht ist sie gerade deshalb ein bisschen wie Hannover selbst und wie die meisten Hannoveraner: unprätentiös, nicht luxuriös, ehrlich, bodenständig", schreibt das Göttinger Tageblatt in einem Beitrag vom 5. Januar 2019.

Doch nach wie vor reizt der Glanz der guten alten Zeit: Immer mal wieder wird darüber diskutiert und spekuliert, die Jugendstil-Markthalle wieder aufzubauen oder zumindest an die alte Pracht anzuknüpfen. Und wie immer wird die Zeit zeigen, wohin die Reise geht.

1970 gab es 50 Fleischerstände in der Markthalle Hannover

Von den rund 100 Verkaufsständen in der „Neuen Halle" gehörte zu Beginn der 1970er-Jahre jeder zweite zu einer Fleischerei.

Zehn Jahre zuvor waren es sogar noch mehr

Karen Klemme

Als ihr Vater Herrmann Klemme Anfang der 1960er Jahre in der Markthalle am Stand der Fleischerei Niemeyer gearbeitet hat, waren es sogar noch 68 Stände, erzählt die 54jährige Fleischermeisterin Karen Klemme, die heute einen eigenen Stand in der Markthalle betreibt. Kein Wunder, denn der hannoversche Architekt Erwin Töllner hatte seinen Entwurf so gestaltet, dass es im schlichten Beton- und Stahlbau mit der großen Glasfront zur Karmarschstraße sogar einen eigenen Schlachtraum für die Markthallen-Fleischer und einen Extraraum für die Fleischkontrolleure gab.

Am 11. Juni 1966 haben Sigrid und Herrmann Klemme dann ihren eigenen Stand eröffnet – dort, wo der Stand von Karen Klemme auch heute noch zu finden ist. Zu dieser Zeit nahm der elterliche Verkaufsstand allerdings nur die linke Hälfte von der aktuellen Größe ein, rechts davon befand sich damals ein Stand für Eier und Geflügel und daneben das Marktgeschäft der Landfleischerei Gustav Sievers. Nur wenige Jahre später existierten in der Markthalle Hannover "nur" noch 50 Fleischereistände.

Von so vielen sind nur wenige geblieben

Bei der Metzgerin Karen Klemme gibt es auch Mittagstisch

Heute gibt es ganze zwei Fleischereien in der Markthalle: "Wurst Basar" und der Stand von Karen Klemme, den sie am 1. Juni 2002 von ihren Eltern übernommen hat. "Die vielen Landfleischereien, die in der Markthalle Hannover ihre Stände hatten, gibt es alle nicht mehr", sagt Karen Klemme. "Den Familienbetrieben fehlten einfach Nachfolger. Und dann kamen weitere Schwierigkeiten hinzu: gesetzliche Bestimmungen, Dokumentationspflichten und behördliche Auflagen, die für die Alteingesessenen oder die älteren Menschen ja auch nicht immer leicht zu bewältigen waren. Später kam dann die Zeit, in der das Studium für die jungen Leute wichtiger war als eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb. Nicht zu vergessen der sprunghafte Anstieg der Mieten Ende der Neunziger Jahre. All das waren wohl die hauptsächlichen Gründe, warum so viele Fleischerfachgeschäfte in der Stadt und auch hier in der Markthalle früher oder später aufgeben mussten. Dieser Beruf ist ungeheuer arbeitsintensiv: Mein Tag fängt um 5 Uhr in der Früh an und endet meist um 9 Uhr abends. Und trotzdem macht er mir noch immer einen Riesenspaß!"

Die Markthalle Hannover wurde für viel Geld modernisiert

1992 konnte "Der Bauch von Hannover" sein 100-jähriges Bestehen feiern. Fünf Jahre später, am 12. Februar 1997 hat die Stadt Hannover die städtische Markthalle an eine private Betreibergesellschaft verkauft, die insgesamt rund 11,5 Millionen DM für den Kaufpreis und in dringend notwendige Sanierungs- und umfangreiche Umbaumaßnahmen investierte.

Standplan

Lieblose Budenensembles und miefige Toiletten

Die einst "Neue Markthalle" ist mittlerweile außen wie innen buchstäblich in die Jahre gekommen. Als die neuen Eigentümer, ein Freundeskreis um den hannoverschen Notar Bernd Wedler, sie Ende der 1990er Jahre von der Stadt Hannover erwarben, mussten sie zunächst einmal viel Geld und Zeit einsetzen in dringend notwendige Renovierungs- und Sanierungsarbeiten. "Vor genau 22 Jahren hat die Stadt sich ihrer Problem-Markthalle entledigt und sie an eine private Betreibergesellschaft verkauft. Damals hätte sie viel Geld für eine Sanierung aufwenden müssen. Das hat sie erfolgreich auf die neuen Eigentümer abgewälzt – und mit der Verantwortung auch die Gestaltungsmacht für dieses symbolträchtige Objekt verloren. [...]Rechtsanwalt Bernd Wedler und seine Mitgesellschafter haben ab 1997 mit hohen Investitionen dafür gesorgt, dass die Markthalle als ‚Bauch von Hannover’ attraktiv blieb. Und sie haben auch vor einigen Jahren erneut Geld in die Modernisierung gesteckt. Allein: Wer dort auf Toiletten geht, der sieht (und riecht) schnell, dass noch so einiges im Argen liegt. Und auch die durchweg lieblose Gestaltung des Budenensembles zeugt davon, dass dieser Ort längst in die Jahre gekommen ist. Das ist umso ärgerlicher, als dass viele Großstädte längst den Charme-Wert ihrer Markthallen entdeckt haben – und sie mit neuen Konzepten, pfiffigen Ideen sowie kluger Architektur aufwerten", schreibt das Göttinger Tageblatt in einer Meldung vom 5. Januar 2019.

Klimaanlage, Rolltreppe und Toilettenräume – alles neu

Blick von oben auf Markthallenstände

Rund 11,5 Millionen DM (entspricht ungefähr 5,88 Millionen Euro) haben die acht Gesellschafter der Markthalle Hannover GbR zusammen aufgebracht für den Kaufpreis und die Kosten für notwendige Sanierungs- und Umbaumaßnahmen der Markthalle. So wurden damals die Fassade mit der langen Glasfront zur Karmarschstraße verschönert, die veraltete Haustechnik modernisiert, eine neue Klimaanlage installiert und 1998 eine Rolltreppe hinauf zur Galerie eingebaut. Auch in späteren Jahren wurde immer wieder investiert in die Attraktivität und den Erhalt der Markthalle: 2009 ist das Sylter Fischrestaurant Gosch in den umgebauten Pavillon am Haupteingang eingezogen, im Oktober 2018 bekam die Markthalle eine neue Kälteanlage, im April 2019 wurden die Sanitärbereiche komplett saniert und im Juni darauf begannen die Renovierungsarbeiten des Fußbodens in der Markthalle, der künftig überall mit einem rutschfesten Belag versehen sein soll.

"Der Bauch von Hannover" ist nicht nur für die Bewohner und Besucher von Hannover eine Herzensangelegenheit sondern auch für die Betreiber, denn "Hannovers Markthalle soll eine Jedermann-Markthalle bleiben, wo sich Promis genauso wohlfühlen wie Arbeiter. Dort sollen Menschen Blumen kaufen können oder ein Brötchen zur Mittagspause oder das Gemüse für zu Hause", sagt Bernd Wedler in einem Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 27. Juli 2019.

Ein Denkmal für die gute Seele der neuen Markthalle

Eine Bronze-Skulptur vor dem Haupteingang der Markthalle von Hannover erinnert an Karoline Duhnsen (1906-2001). Die emsige Marktfrau aus der kleinen Schaumburger Gemeinde Lindhorst kam täglich vom Land in die Stadt und verkaufte am Stand von Schlachter Hardekopf im "Bauch von Hannover" über 50 Jahre lang Fleisch- und Wurstwaren.

Noch zu Lebzeiten verewigt

Das Marktfrauen-Denkmal

Die 1,30 Me­ter große Bron­ze­fi­gur des hannoverschen Bild­hauers Hans-Jür­gen Zim­mer­mann zeigt Karoline Duhn­sen (die von allen in der Markthalle liebevoll nur „Oma Duhnsen“ genannt wurde) als die junge Frau, die in den späten 1920er Jah­ren in ländlicher Bauerntracht zweimal in der Woche mit einer prall ge­füll­ten Kiepe auf dem Rü­cken und einem Korb in der Hand frische Wurst aus dem Schaumburger Land in die Markt­halle von Hannover schlepp­te. Die Idee, Oma Duhnsen noch zu Lebzeiten ein Denkmal zu setzen, hatte Dieter „Käse“ Jäck – ein Standkollege und Wegbegleiter aus alten Tagen. Dafür sammelte er Geld bei allen Marktbetreibern im „Bauch von Hannover“.

Streicheln soll Glück bringen

Namensplakette am Marktfrauen-Denkmal

Ka­ro­line Duhn­sen saß geschmeichelt Mo­dell im Atelier des Künstlers, und am 29. Mai 1999 wurde das Standbild der fleißigen und gutmütigen Marktfrau mit dem ver­schmitz­ten Lächeln vor der Markthalle von Hannover feierlich enthüllt – an dem Ort, an dem sie bis 1980 mehr als ihr halbes Leben lang gearbeitet hat und die gute Seele gewesen ist. Ka­ro­line Duhnsen verstarb am 25. Februar 2001 im hohen Al­ter von 94 Jah­ren. Noch heute gehört es zum Ritual vieler Brautpaare, die sich im Standesamt gegenüber der Markthalle trauen lassen, den mittlerweile blank polierten Korbgriff gemeinsam zu streicheln – eine Geste, die anhaltendes Glück verspricht.