Die Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Cornelia Rundt, sieht in dem Innovationsprojekt "Rheuma-VOR" einen wichtigen Meilenstein in der Verbesserung der Versorgung von Rheuma-Patienten. "Die Lebensqualität der Menschen ist und bleibt der entscheidende Maßstab für den Erfolg unserer Gesundheitspolitik. Deshalb ist die Versorgungsforschung mit ihrem engen Praxisbezug eine tragende Säule unserer guten Gesundheitsversorgung", sagte die Ministerin während der Vorstellung des Projekts in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). "Das vom Innovationsfonds geförderte Projekt ermöglicht dem Rheumazentrum Niedersachsen in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover und den niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie der Kassenärztlichen Vereinigung mit ihren neuen Aktivitäten die Versorgung neu Erkrankter deutlich zu verbessern."
Mehr als 160.000 Menschen leiden in Niedersachsen an einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung. Jedes Jahr kommen 10.000 bis 15.000 Patienten neu dazu, wie Professor Dr. Reinhold E. Schmidt, Direktor der MHH-Klinik für Immunologie und Rheumatologie und Vorstandsvorsitzender des Rheumazentrums Niedersachsen, verwies darauf, dass der Zeitraum zwischen ersten Beschwerden und Entdeckung der Krankheit und Behandlung häufig zu lang sei. Heute vergingen oft bis zu zwölf Monaten, optimal wären zwei bis vier Wochen, denn das Zeitfenster, in dem Neuerkrankte zumeist ohne bleibende Schäden behandelt werden können, würde sich nach drei Monaten schließen.
Genau an diesem Punkt setzt das niedersachsenweite Innovationsprojekt "Rheuma-VOR" an: Um die Zeitspanne zwischen Neuerkrankung und dem ersten Besuch beim Facharzt zu verkürzen, wird die Zusammenarbeit von Hausärzten, niedergelassenen Rheumatologen, dem Rheumazentrum Niedersachsen und der MHH verbessert. "Eine unterstützende Koordinierungsstelle soll die Wartezeit auf einen Termin beim Rheumatologen signifikant verkürzen", erläuterte Professor Schmidt. Ein Pilotprojekt in Rheinland-Pfalz zwischen 2012 und 2015 brachte hervorragende Ergebnisse: Die Zeitdauer vom Besuch beim Hausarzt bis zur Diagnosestellung beim Rheumatologen schrumpfte auf 23 Tage. Dank der frühzeitigen Diagnose wurden bei 80 Prozent dieser Patienten die Krankheitssymptome verringert. Der Einsatz von Medikamenten konnte in dieser Gruppe um 15 Prozent gegenüber den Normalversorgten gesenkt werden.
Und so funktioniert das niedersächsische Projekt in der Praxis: Den Hausärzten kommt eine besondere Bedeutung zu. "Mit Hilfe von Früh-Screeningbögen können die Allgemeinmediziner jetzt Patienten mit charakteristischen rheumatischen Beschwerden wie Gelenkschmerzen oder -schwellungen erfassen", sagte Mathias Burmeister, Geschäftsführer beim Landesverband Niedersachsen des Deutschen Hausärzteverbandes. "Anders als bisher melden die Hausärzte die Verdachtsfälle nun der Koordinierungsstelle im Rheumazentrum Niedersachsen." Die Koordinierungsstelle überprüfen die Eingangskriterien fachärztlich. "Die überweisenden Hausärzte sind bei Rückfragen auch über Tele-Rheuma-Konferenzen erreichbar", erläuterte Burmeister. Professor Schmidt erklärte das weitere Procedere: "Verläuft die Überprüfung positiv, vermittelt die Koordinierungsstelle rasch einen wohnortnahen und zeitnahen Termin in einer rheumatologischen Schwerpunktpraxis."
Das hält auch Dr. Ulrich von Hinüber, niedergelassener Facharzt für Rheumatologie und im Berufsverband Deutscher Rheumatologen 2. Vorsitzender des Landesverbandes Niedersachsen/Bremen, für sehr begrüßenswert. "Leider ist es heute noch oft so, dass viele Patienten diesen Weg nicht rechtzeitig einschlagen, und dass - umgekehrt - die rheumatologische Sprechstunde von Menschen mit chronischen Schmerz- oder Verschleißerkrankungen aufgesucht wird, die besser beim Hausarzt, beim Orthopäden oder beim Schmerztherapeuten versorgt werden könnten." Für die niedergelassenen internistischen Rheumatologen ist es nach Aussage von Dr. von Hinüber sehr begrüßenswert, wenn eine Versorgungsforschung in diesem Bereich stattfindet, und neue Instrumente zur Verbesserung der Zuweisungsqualität erarbeitet und evaluiert werden. "Ziel ist eine bessere Nutzung der begrenzten Kapazitäten, um möglichst vielen Betroffene eine rechtzeitige und effektive Behandlung zukommen zu lassen."
Wie bisher sichert der niedergelassene Rheumatologe die Diagnose und leitet die Therapie ein. In vier Modellpraxen sollen zudem Rheumatologische Fachassistenten die Arbeit aufnehmen, um die Fachärzte zu entlasten. Sobald bei den Patienten die Symptome dauerhaft verbessert werden konnten, können die Ärzte einen Teil der weiteren Betreuung an die Rheumatologischen Fachassistenten delegieren. Zudem unterstützt ein Team der Koordinierungsstelle aus Fachärzten, rheumatologischen Fachassistenten des Rheumazentrums und Vertretern der Rheumaliga die niedergelassenen Ärzte bei der Weiterbehandlung der Patienten.
"Diese ,koordinierte Kooperation' ist das zentrale Moment der neuen Versorgungsform zwischen den niedergelassenen Hausärzten sowie Fachärzten und den Patienten, gesteuert und unterstützt durch die multidisziplinär besetzte Koordinationsstelle im Rheumazentrum der MHH", sagte Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), ebenfalls Partner in dem Projekt.
"Viele Betroffene haben sich in der Vergangenheit an die Rheuma-Liga gewandt und von ihrer Odyssee der Diagnosefindung berichtet", betonte Hans-Joachim Metzig, Geschäftsführer der Rheumaliga Niedersachsen. Der Verein, der ebenfalls Projektpartner ist, unterstützt als Interessenvertretung von mehr als 60.000 Patienten und Mitgliedern "Rheuma-VOR". Metzig lobt das Projekt, da es eine schnellere Diagnose und Therapie für Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sichert und Defizite beim Zugang zu spezialisierten Versorgung abbaut. "Aber nach wie vor gibt es bundesweit einfach zu wenige internistische Rheumatologen", kritisierte der Geschäftsführer der Rheuma-Liga Niedersachsen. In ganz Niedersachsen sind weniger als 50 niedergelassene rheumatologische Fachärzte tätig, in der gesamten Küstenregion sind es gerade einmal fünf.
"Rheuma-VOR" in Niedersachsen ist ein Teilprojekt des vom Innovationsfonds beim Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) für neue Versorgungsformen geförderten Projektes "Verbesserung der rheumatologischen Versorgungsqualität durch koordinierte Kooperation". Die Leitung des Gesamtprojekts liegt bei der Universitätsmedizin Mainz, es wird über drei Jahre mit insgesamt sechs Millionen Euro gefördert. "Unser Innovationsprojekt im Norden erhält davon etwa 1,3 Millionen Euro", erläuterte Professor Schmidt. Gut investiertes Geld: "Klinikaufenthalte, Behandlungskosten, Medikamenteneinnahme und Arbeitsunfähigkeitszeiten lassen sich damit reduzieren", sagte Professor Schmidt, "und die Lebensqualität für die Betroffenen lässt sich verbessern."
Das niedersachsenweite Projekt wird von einem intensiven Aufklärungs- und Schulungsprogramm begleitet. So wird ein Rheuma-Bus mit der Möglichkeit eines Früh-Screenings durch das Land touren. Erstmals ist er vom 6. bis 9. Juni in den Juni Regionen Uelzen, Gifhorn, Lüneburg, Zeven und Bremervörde, Ritterhude sowie Leer, Meppen unterwegs.
(Veröffentlicht am 13. Januar 2017)