Im Körper von Tier und Mensch zirkulieren Stoffe, die den Wirkstoffen der Hanfpflanze sehr ähnlich sind: die Endocannabinoide. Über die Rolle, die sie im Körper von gesunden und kranken Tieren spielen, ist bisher nur wenig bekannt. Klar ist aber, dass sie passende Bindestellen, sogenannte Rezeptoren, benötigen, um eine Wirkung entfalten zu können. Dr. Jessica Freundt-Revilla aus der Klinik für Kleintiere und Dr. Kristel Kegler aus dem Institut für Pathologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) interessieren sich für die Rezeptoren der Endocannabinoide und untersuchten ihre Verteilung im Körper von Hunden, um daraus Rückschlüsse auf die Funktion der Endocannabinoide zu ziehen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlichten sie im Fachmagazin PLOS ONE.
Die Hanfpflanze enthält zahlreiche unterschiedliche Wirkstoffe. Sie werden als Cannabinoide bezeichnet und sind für ihre berauschenden und therapeutischen Effekte bekannt. In wissenschaftlichen Untersuchungen wird derzeit unter anderem diskutiert, ob einige von ihnen Krampfanfälle beenden können.
Vor vier Jahren zeigten TiHo-Forscher, dass die Menge der Endocannabinoide in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit von Hunden mit idiopathischer Epilepsie erhöht ist. "Für uns war dies ein Hinweis darauf, dass Endocannabinoide eine wichtige Rolle im Nervensystem von Epilepsiepatienten spielen. Wir bestimmten in dieser Studie deshalb die Verteilung der zugehörigen Rezeptoren bei gesunden Hunden“, erklärt Freundt-Revilla. "Zu wissen" wo Cannabinoid-Rezeptoren im Nervensystem gesunder Hunde sitzen, ist eine wichtige Voraussetzung, um Abweichungen bei kranken Hunden zu erkennen", so die Wissenschaftlerin weiter.
Bei Säugetieren sind zwei Arten von Cannabinoid-Rezeptoren bekannt: Typ 1 und Typ 2. Letzterer scheint vor allem eine Rolle im Immunsystem zu spielen, während Typ 1 Vorgänge im Nervensystem mitreguliert. "Im Fokus unserer Studie steht der Cannabinoid-Rezeptor Typ 1, der bereits in Speicheldrüsen, Haut, Haarfollikeln und einzelnen Hirnstrukturen von Hunden nachgewiesen werden konnte", berichtet Kegler. "Die Verbreitung im gesamten Nervensystem wurde beim Hund bisher nicht untersucht.“ Die Forscherinnen setzten eine spezielle Methode ein, um den Rezeptor in verschiedenen Hirnregionen sowie im Rückenmark und in einigen peripheren Nerven von fünf Hunden verschiedenen Alters anzufärben. So konnten sie nachweisen, in welchen Hirnregionen die Rezeptoren lokalisiert sind und auf welchen Zelltypen sie sich befinden. „Wir fanden die Rezeptoren beispielsweise in Regionen des Nervensystems, die für Wahrnehmung, Gedächtnis, Schmerzempfindung und Bewegungsfunktionen zuständig sind", so Freundt-Revilla. Diese Ergebnisse zeigen, welche Körperfunktionen durch Endocannabinoide beeinflusst werden könnten.
Die Verteilung der Rezeptoren ähnelte sich bei Tieren verschiedenen Alters und glich weitgehend der bei anderen Tierarten und dem Menschen. Einige Besonderheiten weckten jedoch das Interesse der Wissenschaftlerinnen. Es gelang ihnen, den Rezeptor an Astrozyten nachzuweisen. Diese Zellen des Nervensystems regulieren unter anderem die Reizweiterleitung an den Synapsen. Bei Epilepsie kommt es zu einer übersteigerten Reizweiterleitung – die Regulation versagt. "Auf Astrozyten von Ratten mit Epilepsie konnten Forscher eine erhöhte Anzahl an Cannabinoid-Rezeptoren nachweisen. Dies könnte ein Hinweis dafür sein, dass mit der Abweichung der Rezeptorenzahl eine gestörte Reizweiterleitung einhergeht. Mit unseren Ergebnissen können wir nun untersuchen, ob dies bei Hunden genauso ist", sagt Freundt-Revilla.
Die Forscherinnen konnten zudem nachweisen, dass im untersuchten Gewebe eines älteren Hundes zum Teil deutlich weniger Rezeptoren vorhanden waren. "Die Abnahme der Rezeptoren im hohen Alter könnte dazu führen, dass Tiere ihre Bewegungen weniger gut koordinieren können und ihre Gedächtnisleistung nachlässt“, vermutet Freundt-Revilla. „Dies müsste jedoch in weiteren Untersuchungen bestätigt werden."
"Eine weitere interessante Entdeckung war, dass der Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 auf myelinisierenden Schwann-Zellen vorhanden war – auf nicht-myelinisierenden Schwann-Zellen fehlte er jedoch", berichtet Kegler. Schwann-Zellen umhüllen und stützen Nervenfasern außerhalb des zentralen Nervensystems. Diese Zellen bilden die sogenannte Myelinscheide, die die Nervenfasern elektrisch isoliert und somit eine besonders schnelle Reizweiterleitung ermöglicht. „Aufgrund unserer Ergebnisse vermuten wir, dass Endocannabinoide Einfluss auf die Myelinisierung von Nervenfasern haben. Dies eröffnet ein ganz neues Forschungsfeld“, sagt Freundt-Revilla.
Freundt-Revilla und Kegler sind mit ihren Ergebnissen zufrieden. "Unsere Untersuchungen bilden die Basis für weitere Studien", so Kegler. Freundt-Revilla ergänzt: "Sie könnten die Grundlage neuer Therapieansätze für Hunde mit Krampfanfällen oder chronischen Schmerzen sein."
(Veröffentlicht: 3. August 2017)