3.8 Illegale Migration

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3.2 Kinder und Jugendliche

3.5 Sexuelle Identität und Migration

3.7 Sozialberatung

Ausgangslage

Bislang gibt es kaum wissenschaftliche Forschung zum illegalen Aufenthalt von Migrant/innen in Deutschland. Das hierzu vorhandene Expertenwissen findet sich eher schlecht zugänglich außerhalb des wissenschaftlichen Bereichs. Dieses Manko berechtigt eine Kommune jedoch nicht dazu, die Augen vor der Existenz tausender Menschen, die sich illegal im Stadtgebiet aufhalten, zu verschließen.

Illegal ist der Aufenthalt von Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die zwar in Deutschland leben, aber weder Aufenthaltstitel noch Duldung besitzen, somit weder im Ausländerzentralregister noch sonst behördlich registriert sind. Sie geraten in diese Situation typischerweise durch Überschreitung der erlaubten Aufenthaltsdauer nach legaler Einreise. Andere Möglichkeiten sind die Einreise mit gefälschten Dokumenten oder einem betrügerisch erworbenen Visum und der unregistrierte Grenzübertritt.

Diese letztere, heimliche Form der Einreise beherrscht zwar die öffentliche Wahrnehmung, ist aber nach Expertenmeinung eher weniger bedeutsam. Illegale Aufenthalte entstehen in Deutschland in der Mehrzahl im Anschluss an eine offizielle Einreise. Man kann zudem davon ausgehen, dass es eine Vielzahl von wechselnden – und nicht selten Legalität und Illegalität verbindenden – Mischformen von Einreise, Aufenthalt und Beschäftigung gibt.

Die Verteilung nach Alter, Geschlecht und Familienstand der Betroffenen hängt stark von den Einwanderungsmotiven ab. Bei den ökonomisch motivierten Einwanderungen dominieren Alleinstehende in einem Alter bis 30 Jahren. Soweit ein Flüchtlingsschicksal vorliegt, handelt es sich in der Mehrzahl um Menschen in Familienzusammenhängen. Innerhalb dieser Familien kann sich auch der Aufenthaltsstatus einzelner Mitglieder verändern, so dass es bei einer Familie sowohl legal und illegal hier lebende Mitglieder geben kann.

Sonderphänomene bilden die illegalen Einwanderung von Personen, die erzwungen oder freiwillig in der Sexindustrie arbeiten, sowie die Einwanderung von Personen, die die Grenze zur Durchführung krimineller Vorhaben überqueren. Für alle Varianten illegalen Aufenthaltes aber gilt, dass er in der Regel nicht dauerhaft ist.

Aus Sicht der Betroffenen führen zwei Wege aus der Illegalität heraus: entweder Verlassen des Landes durch Rück- oder Weiterwanderung oder Erwerb eines anderen Status durch Stellung eines Asylantrages, Erlangung einer Duldung oder Heirat eines Partners mit gesichertem Aufenthalt. Aus staatlicher Sicht wird ein aufgedeckter illegaler Aufenthalt zwangsweise mit Abschiebung beendet. Kollektive Legalisierungsaktionen wie in anderen Staaten der Europäischen Union (z.B. Spanien und Italien) oder in den USA wurden in Deutschland bisher nicht durchgeführt.

Nicht jeder, der sich illegal in Deutschland aufhält, befindet sich automatisch in einer Notlage, aber die illegale Existenz kann Notlagen erzeugen. Zu diesen Notlagen zählen Armut, Verschuldung und soziale Abhängigkeiten, bis zur Freiheitsberaubung und einer Lebenssituation, die durch Gewalt und Erpressung geprägt wird.

Die illegale Einwanderung kann nur bestehen, weil sie in der aufnehmenden Gesellschaft Unterstützung und Nachfrage findet. Die Unterstützung kann etwa durch die Solidarität von Familienmitgliedern geprägt sein, aber auch eine kriminell-ausbeuterische Form annehmen in Gestalt der Nachfrage nach illegaler Beschäftigung und im Bereich der Sexindustrie. Allerdings zeigen Wirtschaftsanalysen, dass die Schattenwirtschaft in Deutschland nur in geringem Maße (geschätzt 13 Prozent) mit illegaler Ausländerbeschäftigung betrieben wird. Ausnahmen bilden Bereiche wie haushaltsnahe Dienstleistungen, Baugewerbe, Gastronomie und Gebäudereinigung, in denen höhere Anteile von so genannter Schwarzarbeit von Migrant/innen zu verzeichnen sind.

Sieht man von den immanenten Verstößen gegen das Aufenthalts- bzw. Asylverfahrensgesetz ab, verhalten sich Migrant/innen in der Illegalität mehrheitlich bewusst gesetzeskonform, was mit ihrem Bestreben nach Vermeidung von Behördenkontakten gut erklärlich ist. Dies trifft natürlich nicht auf den Teil der illegalen Migranten zu, die nur zum Zweck des Begehens von Straftaten eingereist sind.

Statistisch gesicherte Daten über die Zahl der in Deutschland sich aufhaltenden illegalen Einwanderer liegen naturgemäß nicht vor. Der Konsens informierter Schätzungen nimmt aber für die deutschen Großstädte Zahlen im fünfstelligen Bereich an. Man muss deshalb für Hannover mit einer Zahl von mehreren Tausend illegalen Eingewanderten rechnen.

Bei den Kindern, die sich mit ihren Familien illegal in Deutschland aufhalten, besteht eine besondere Situation. Auch der jüngste Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Bildung weist darauf hin, dass das deutsche Ausländerrecht im Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention steht. So sind öffentliche Stellen wie auch kirchliche und soziale Organisationen verpflichtet, Ausländerbehörden über illegale Aufenthalte (auch im Kindesalter) zu informieren. Dies kann in der Praxis zu einer Verhinderung des grundgesetzlich garantierten Rechts auf Bildung führen.

Grundsätzlich ist für Staat wie Kommune Illegalität nicht hinnehmbar; tritt sie auf, müssen Mittel und Maßnahmen darauf gerichtet sein, sie zu beenden, zugleich aber auch ihre Folgen – soweit möglich – abzumildern. Es entsteht so ein dauerhaftes Spannungsverhältnis zwischen dem unaufgebbaren Anspruch des Staates auf Beendigung des illegalen Aufenthaltes und der menschenrechtlichen Verpflichtung, Folgen wie Ursachen der Illegalität entgegenzutreten sowie das Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz auch für diesen Personenkreis zu sichern.

Jede Initiative, die sich an Menschen mit illegalem Aufenthalt richtet, muss sowohl dem spannungsvollen rechtlichen Hintergrund als auch den besonderen Lebensumständen dieser Menschen Rechnung tragen, die z.B. mit sich bringen, dass alle entsprechenden Maßnahmen und Projekte einer ausgeprägten Niedrigschwelligkeit bedürfen.

Dabei ist auch von Bedeutung, Personen, die sich im Rahmen humanitärer Hilfe engagieren, unmissverständlich vor strafrechtlicher Verfolgung (Beihilfe zu illegalem Aufenthalt; § 96 Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)) zu schützen. Konkrete Problemsituationen ergeben sich auch hinsichtlich der Meldepflichten nach § 87 AufenthG etwa bei der gesundheitlichen Versorgung, der Betreuung und Beschulung von Kindern sowie der grundsätzlichen Beratung und Aufklärung.

Ziele

  • Leitmotiv des Umganges mit illegal sich in der Stadt aufhaltenden Menschen ist in gleichem Maße die Unterstützung von Maßnahmen zur Beendigung der Illegalität als auch solcher zur Absicherung elementarer Lebensrisiken dieser Personen.
  • Die Landeshauptstadt Hannover bekennt sich vor diesem Hintergrund zu ihrer Fürsorgepflicht für alle Menschen, die dauerhaft in der Stadt leben, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.
  • Sie verfolgt das Ziel, Menschen in der Illegalität Hilfe und Beratung anzubieten, um Möglichkeiten der Beendigung ihrer Illegalität herbeizuführen und ihre elementaren Lebensbedürfnisse zu sichern. Insbesondere ist die grundgesetzliche Garantie von Menschenrechten auf Gesundheit, schulische Bildung und Schutz vor Ausbeutung zu beachten, die voraussetzungslos jedem im Geltungsbereich des Grundgesetzes befindlichen Menschen zugesprochen werden.

Handlungsansätze

Die Landeshauptstadt Hannover wird sich weiter daran beteiligen, Verantwortungsträger und Öffentlichkeit über die Situation und Probleme des illegalen Aufenthaltes zu informieren und – auch über ihre Verbandsarbeit – für eine humanitäre Versorgung eintreten.

Die Landeshauptstadt Hannover unterstützt in diesem Rahmen Bemühungen auf Bundesebene, Klarstellungen bezüglich der im August 2007 erfolgten Entschärfung des § 96 AufenthG zu erreichen, mit dem Ziel, humanitäre Hilfe unmissverständlich von Strafverfolgung freizustellen. Sie unterstützt weiterhin die Forderung, in den Anwendungshinweisen zum Aufenthaltsgesetz künftig klar zu stellen, dass freie Träger der Jugend- und Gesundheitshilfe sowie der Freien Wohlfahrtspflege keiner Mitteilungspflicht nach § 87 AufenthG unterliegen.

Die Landeshauptstadt Hannover begrüßt und unterstützt im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Initiative der „Malteser Migranten Medizin“ und ihrer Kooperationspartner, ein niedrigschwelliges, legales Versorgungsangebot in Hannover anzubieten.

Zur Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus wird die Einrichtung eines trägerübergreifenden Arbeitsgremiums angestrebt. Dabei wird auf die Erfahrungen des entsprechenden Arbeitskreises des „Runden Tischs für Gleichberechtigung – gegen Rassismus“ zurückgegriffen.

Die Landeshauptstadt Hannover wird sich dafür einsetzen, dass die Migrantenselbstorganisationen in die Lage versetzt werden, ein angemessenes Hilfe- und Beratungsangebot für illegal sich aufhaltende Menschen vorzuhalten, das insbesondere auch geeignet ist, Wege aus der Illegalität aufzuzeigen.

Die Landeshauptstadt Hannover unterstützt Bemühungen um Klarstellung im Niedersächsischen Schulgesetz, wonach dem Recht auf Bildung durch Besuch öffentlicher Grund- und Hauptschulen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, nachgekommen werden kann. Die notwendigen schulärztlichen Untersuchungen sollen eingeschlossen sein.

Die Landeshauptstadt Hannover geht davon aus, dass das Recht „jedes jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 Kinder- und Jugendgesetz) auch so verstanden werden muss, dass Kindertagesstätten und andere Einrichtungen der Jugendhilfe jungen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zur Verfügung stehen müssen.

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3.10 Kriminalprävention